Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Gläserne Decken halten Frauen von Spitzenpositionen fern.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

Die „gläserne Decke“ ist eines der beliebtesten Sprachbilder des Feminismus. Es besagt, dass berufstätige Frauen in der Rangordnung über sich zwar erfolgreiche Kollegen wahrnehmen, diese Decke aber selbst nicht durchbrechen können. Dabei gehen viele Feministinnen geradezu automatisch davon aus, dass dies an sexistischen Vorurteilen gegenüber Frauen liege, an Diskriminierungen, wenn es um innerbetrieblichen Aufstieg geht, sowie an Männerbünden, die Frauenkarrieren verhindern.

Dass die Wirklichkeit anders aussehen könnte, erschließt sich, wenn man sich mehr Informationen als allein den Frauenanteil in bestimmten Führungsebenen anschaut. So zeigte eine im April 2018 veröffentlichte Auswertung des Instituts der Deutschen Wirtschaft, dass Frauen in deutschen Unternehmen zwar 45 Prozent der Beschäftigten, aber nur rund 29 Prozent der Führungskräfte stellten. Wenn man allerdings betrachtete, wie viele Frauen sich überhaupt auf eine Spitzenposition bewarben, zeigte sich ein Frauenanteil von 31,5 Prozent – was ihrem Anteil an den Führungspositionen sehr nahe kam. [1] Von undurchdringlichen gläsernen Decken und Männerbünden, die Frauen gezielt draußen halten, kann also keine Rede sein.

„Ich habe selbst nie einen männlichen Chef und auch keine männlichen Kollegen getroffen, die mich aktiv an der Karriere gehindert hätten. Im Gegenteil, es gab eine ganze Menge, die mich aktiv gefördert haben“ berichtet die taz-Autorin Nicola Liebert und vermutet eher andere Gründe: „Da muss ich nur mich selbst betrachten und meine Weigerung, eine karrierefördernde 50- bis 60-Stunden-Woche im Büro längerfristig zu akzeptieren (ehrlich, schon 40 Stunden sind für meinen Geschmack unanständig). Ich kann über Angestellte nur staunen, die sich fast ihre gesamte wache Zeit mit scheinbarer Begeisterung für die Profitmehrung irgendeines Unternehmens engagieren, das im Zweifel nur Ressourcen verschwendet. Selbst als Angestellte in einer Organisation zur Weltverbesserung hatte ich nach einiger Zeit im Büro genug vom Weltverbessern und wollte endlich meine Beziehung und mein übriges Privatleben, meine kulturellen Interessen und mein Lieblingshobby pflegen: morgens ausschlafen. Auch ohne Kinder eine schlechte Voraussetzung für eine steile Karriere.“ [2]

Da befindet sich Nicola Liebert in voller Übereinstimmung mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Barbara Bierach, die die Frage stellte, wo die Frauen nach all den Jahren Trainee- und Frauenförderungsprogrammen geblieben seien. Ihre Antwort: Die Frauen haben schlicht andere Pläne. Sie studieren bevorzugt Geisteswissenschaften statt karriereorientierter technischer oder betriebswirtschaftlicher Studiengänge, lesen statt Fachliteratur lieber Belletristik und ziehen sich spätestens ab Mitte 30 als Ehefrau eines gut verdienenden Mannes zurück, statt sich selbst dem zermürbenden, aufreibenden Gerangel um Macht und Karriere auszusetzen. [3] Anke Diez, Leiterin der Wissenschaftlichen Weiterbildung der Universität Karlsruhe, sieht als einen wesentlichen Grund eher mangelnden Mut bei den Frauen: „Während Männer Herausforderungen annehmen, auch wenn das Arbeitsfeld neu ist, und dann daran wachsen, trauen sich Frauen Neues erst dann zu, wenn sie wirklich überzeugt sind, dass sie es bereits können.“ [4]

Diese Tendenz zeigt sich auch als Ergebnis der wissenschaftlichen Forschung. So verfolgte der Soziologe Fabian Ochsenfeld für eine Studie, deren Ergebnisse er in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KfZSS) veröffentlichte, den Berufsweg von 1.780 männlichen und 2.466 weiblichen Hochschulabsolventen nach dem Verlassen der Universität. Im Jahr 2007 waren 42% der männlichen Absolventen des Jahres 1997 und 23% der weiblichen Absolventen desselben Jahres in einer zumindest ansatzweise leitenden Funktion angekommen. Wie erklärte sich der Unterschied von 19 Prozent? Ochsenfeld ermittelte hierfür zwei Variablen, nämlich die Wahl des Studienfachs und die Entscheidung, sich fortzupflanzen. Beide Variablen erklärten die Diskrepanz zwischen den Erfolgen von Männern und Frauen praktisch vollständig, wie Ochsenfeld feststellte: Der These von der gläsernen Decke unterliege „die Vorstellung, dass die Unterrepräsentierung [von Frauen in Spitzenpositionen von Unternehmen] maßgeblich das Resultat einer betrieblichen Diskriminierung von Frauen sei … Diese Sicht der Dinge hat durch unsere empirische Analyse keine Bestätigung erfahren“. [5]

Eine bewusste Verweigerung der beruflichen Karriere durch Studienwahl und Familienplanung sieht auch Cornelia Koppetsch, Soziologin an der TU Darmstadt, als ausschlaggebende Kombination. Sie sieht beim weiblichen Geschlecht den „Trend zur Selbstverwirklichung“ im Vordergrund, während Männer die Erwerbsdimension im Blick hätten. Von einer Angleichung der Geschlechter in der Rollenverteilung mag Koppetsch deshalb nicht sprechen. „Die Angleichung wird immer unterstellt, sie hat aber gar nicht stattgefunden“, erklärt sie und fügt hinzu: „Männer sind hier nicht die größten Widerständler.“ Eher vermisse sie den echten Tatendrang der Frauen: „Viele kommen über Lippenbekenntnisse nicht hinaus. Sie sprechen von Vereinbarkeit, die sie sich wünschen; sie sagen dies aber nur, weil sie sich nicht trauen, Hausfrau zu sagen.“ Noch immer sähen viele Frauen im Studium eine Art Überbrückung bis zur Heirat. [6]

Zu einer ähnlichen Erkenntnis gelangen neun Studien, deren Zusammenfassung von Forschern der Harvard Business School veröffentlicht wurde. Dabei zogen die Wirtschaftswissenschaftler folgendes Fazit:

„Wir identifizieren eine tiefgreifende und konsistente Geschlechterkluft in den zentralen Lebenszielen der Menschen. In neun Studien mit unterschiedlichen Stichprobenpopulationen (Führungskräfte in High-Power-Positionen, Absolventen eines Top-MBA-Programms, Studenten und Online-Panels von arbeitenden Erwachsenen) und über 4.000 Teilnehmern stellen wir fest, dass Frauen im Vergleich zu Männern eine höhere Anzahl von Lebenszielen haben, weniger Gewicht auf machtpolitische Ziele legen, mehr negative Ergebnisse (z.B. Zeitdruck und Kompromisse) mit Machtpositionen assoziieren, Macht als weniger wünschenswert empfinden und weniger Chancen zur beruflichen Weiterentwicklung wahrnehmen. Frauen halten hochrangige Positionen für genauso erreichbar wie Männer, aber weniger wünschenswert.“ [7]

In einer weltweiten Umfrage, über die im Jahr 2015 die Wirtschaftswoche berichtete, zeigte sich, dass nur 29 Prozent der jungen Frauen gerne einen Job mit Leitungsfunktion hätte. Bei den jungen Männern waren es 46 Prozent. [8] Wie zwei Wissenschaftlerinnen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Wayne State University in den USA nach der Auswertung von repräsentativen Daten von mehr als 20.000 Personen ermittelten, hängt bei Männern die persönliche Zufriedenheit schließlich stärker von der beruflichen Stellung ab als bei Frauen. Männer in Führungspositionen waren demnach zufriedener als Männer auf einer niedrigeren Stufe, die sich aber immer noch glücklicher fühlten als Männer, die keiner bezahlten Arbeit nachgehen konnten oder wollten – etwa Hausmänner. Am unzufriedensten waren arbeitslose Männer. Bei Frauen gab es keine derartig unterschiedliche Lebenszufriedenheit zwischen Frauen mit Managerpositionen, einfachen Angestellten oder Hausfrauen. Lediglich arbeitslose Frauen zeigten ein auffällig hohes Maß an Unzufriedenheit. [9]

Aufgrund dieser unterschiedlichen Gewichtung fragen auch nur 26 Prozent der berufstätigen Frauen den Chef regelmäßig nach einer Beförderung. Bei den Männern tun das 74 Prozent. Wegen mehr Geld klopfen zwar immerhin 48 Prozent der Frauen in der Führungsetage an, doch auch hier liegen die Männer mit 72 Prozent deutlich vorne. Entsprechend ist das Resultat: Während die Hälfte der berufstätigen Männer schon mal eine gewünschte Position bekommen hat, trifft das nur auf 38 Prozent der Frauen zu. [10] Das Gesamtbild, das sich aus all diesen Erkenntnissen ergibt, ist klar: Frauen sind nicht in erster Linie aufgrund einer sexistischen Benachteiligung weniger häufig in Führungsgremien anzutreffen. Die entscheidenden Faktoren sind stattdessen andere Schwerpunkte in der Lebensplanung verbunden mit einer unterschiedlichen Motivation.

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[1] Vgl. N.N.: Frauen streben seltener in Spitzenjobs. Online seit dem 30.4.2018 unter http://www.spiegel.de/karriere/frauen-bewerben-sich-seltener-auf-spitzenjobs-a-1205550.html.

[2] Vgl. Liebert, Nicla: Nichts für Sensibelchen. In: tageszeitung vom 7.3.2006, online unter http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2006/03/07/a0170.

[3] Vgl. Bierach, Barbara: Das dämliche Geschlecht. Wiley-VCH Verlag 2002.

[4] Vgl. Hucht, Margarete: Höhenflüge – nichts für Frauen? In: Die Welt vom 9.10.2004, online unter https://www.welt.de/print-welt/article345091/Hoehenfluege-nichts-fuer-Frauen.html.

[5] Vgl. Ochsenfeld, Fabian: Gläserne Decke oder goldener Käfig: Scheitert der Aufstieg von Frauen in erste Managementpositionen an betrieblicher Diskriminierung oder an familiären Pflichten? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Vol. 64, Nr. 3/2012, S. 507-534. zitiert nach Klein, Michael: Ende einer Genderphantasie: Die „Gläserne Decke“ in Scherben. Online seit dem 15.9.2012 unter https://sciencefiles.org/2012/09/15/ende-einer-genderphantasie-die-glaserne-decke-in-scherben.

[6] Vgl. vom Lehn, Birgitta: Starre Geschlechtergrenzen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.7.2012, online unter http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/studienfachwahl-starre-geschlechtergrenzen-11818674.html.

[7] Vgl. Gino, Francesco und andere: Compared to men, women view professional advancement as equally attainable, but less desirable. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) Vol. 112, Nr. 6/2015, S. 12354-12359, online unter http://www.pnas.org/content/early/2015/09/15/1502567112.full.pdf.

[8] Vgl. N.N.: Viele junge Frauen scheuen Führungsrolle. In: Wirtschaftswoche vom 15.1.2015, online unter http://www.wiwo.de/erfolg/management/aengstliche-generation-y-viele-junge-frauen-scheuen-fuehrungsrolle/11232458.html.

[9] Vgl. N.N.: Führungspositionen machen nur Männer zufriedener. In: Spiegel Nr. 4/2011, online seit dem 22.1.2011 unter http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/a-741013.html

[10] Vgl. Sicking, Marzena: Frauen planen Karriere passiver. Online seit dem 20.3.2013 unter https://www.heise.de/resale/artikel/Frauen-planen-Karriere-passiver-1821943.html.