Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Auf Twitter berichteten Zehntausende von Frauen unter #Aufschrei über Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM.

Als im Januar 2013 die Feministin Anne Wizorek auf Twitter eine Kampagne lancierte, um auf sexuelle Übergriffe aufmerksam zu machen, stürzten sich viele Leitmedien darauf und taten in großen Schlagzeilen so, als ob Übergriffe auf deutsche Frauen allgegenwärtig seien. „Zehntausende schildern bei Twitter unter dem Schlagwort #aufschrei persönliche Erfahrungen, Traumata, auch körperliche Übergriffe“ [1] – so und ähnlich formulierten viele Blätter. Eine Woche lang war die Kampagne täglich Thema in zumindest irgendeiner Talkshow von Günther Jauch über Hart aber fair, Menschen bei Maischberger und Anne Will bis zu Maybrit Illner und der Phoenix-Runde.

Erst lange nachdem die mediale Sau durchs Dorf getrieben worden war, untersuchte jemand den feministisch-journalistischen Zahlenzauber genauer: der Schriftsteller Ralf Bönt in dem von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Band „Anmerkungen zur Sexismusdebatte“ in der Reihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“: Tatsächlich, stellte Bönt fest, hatten nicht Zehntausende von Frauen über angebliche Opfer-Erfahrungen getwittert, sondern es handelte sich um Zehntausende von Tweets, also Wortmeldungen in der entstandenen Debatte, wobei einer Stichprobe zufolge „lediglich 1,5 Prozent von ihnen der Intention von Anne Wizorek entsprachen“. 27 Prozent kritisierten die feministische Position und 32,5 beanstandeten die Einseitigkeit und den hysterischen Tonfall, mit dem die Debatte geführt wurde. „Der Rest“, so Bönt, „war Spam, Werbung, Wiederholungen.“ [2] All diese Stimmen verzeichneten Journalisten ungerührt als Opfer sexueller Belästigung. Ein ehrliches Interesse, sich näher in die Debatte einzulesen, bestand in den Redaktionsstuben offenbar kaum – sondern eher das Interesse daran, mal wieder einen „Sexskandal“ auf die Titelseiten zu bringen und sich zugleich als moralische Instanz fühlen zu dürfen.


[1] Hier beispielhaft zitiert aus der Hannoverschen Allgemeinen vom 29.1.2013, online unter http://www.haz.de/Nachrichten/Medien/Netzwelt/Aufschrei-ueber-sexuelle-Belaestigung-im-Netz.

[2] Vgl. Bönt, Ralf: Tausendschön im Neopatriarchat. In: Anmerkungen zur Sexismus-Debatte. Aus Politik und Zeitgeschichte Band 8/2014. Online unter http://www.bpb.de/apuz/178666/tausendschoen-im-neopatriarchat.