„Der leichte Zugang zu Internet-Pornos schadet Jugendlichen.“
DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:
Die neueste Wendung erhielt der Alarmismus gegenüber pornographischen Filmen vor einigen Jahren unter dem Kampfbegriff „Generation Porno“. Gemeint war damit eine durch die leichte Verfügbarkeit von Pornos im Internet sexuell angeblich immer aggressivere und immer enthemmtere Jugend.
Von wissenschaftlicher Seite indes gab es dagegen lautstarken Widerspruch. „Die Generation Porno ist ein Schreckgespenst“, erklärte der angesehene Jugendforscher Professor Klaus Hurrelmann. „Das kann man schon nicht mehr in Prozenten ausdrücken – es sind Promilleanteile eines Jahrgangs, bei denen es, wie wir das sagen, zu riskantem Sexualverhalten kommt. Die Zahl ist seit Jahren gleich.“ [1] Die Studie Jugendsexualität 2010 der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gab Hurrelmann Recht: Die Jugendlichen der angeblichen „Generation Porno“ erleben ihr erstes Mal zwar früher als vergangene Jahrgänge, dies geschieht allerdings in der Regel in einer festen Beziehung. Jugendliche verhüten auch besser als je zuvor und sprechen heute weit ausführlicher mit ihren Eltern darüber als in zurückliegenden Jahrzehnten.
„Onlinesexsucht entwickelt sich zur Männerseuche des 21. Jahrhunderts“ hatte Lisa Ortgies in Alice Schwarzers Emma einmal geschrieben. Das Pornoangebot könne „normale“ Nutzer zu Pädophilen machen. [2] Die Zeit befragte zu dieser Behauptung David Goecker, Mitarbeiter eines renommierten Projekts an der Berliner Charité, bei dem pädophile Männer therapiert werden. Goecker kann die Emma-Thesen nicht bestätigen. Die sexuelle Vorliebe liege bereits vor dem Konsum von Kinderpornografie vor: „Inwieweit sich das sexuelle Verhalten eines Menschen durch den Konsum von Pornografie verändert, inwiefern Impulse auf das eigene Erleben von Sexualität übertragen werden, kann seriös nicht gesagt werden.“ [3]
Die Datenlage weist eher auf einen positiven Effekt: Je schneller in verschiedenen Bundesstaaten der USA die Anbindung ans Internet gestiegen war, desto rapider war die Zahl an Vergewaltigungen gesunken. Dieser Effekt bleibt Professor Todd Kendall von der US-Universität Clemson zufolge auch dann robust, wenn man andere denkbare Einflussgrößen wie Bevölkerungsdichte, Armut, Arbeitslosigkeit und Polizeipräsenz mit einbezieht. Einen ähnlichen Effekt des Internets beispielsweise auf andere Gewaltverbrechen gebe es nicht. Und in der Altersgruppe der Täter zwischen 15 und 19 Jahren sanken die Zahlen am deutlichsten. [4]
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[1] Vgl. Kalle, Matthias: „Klug und haushaltend“. In: Die Zeit vom 16.7.2009, online unter http://www.zeit.de/2009/30/Jugend-Erstes-Mal-Interview-30.
[2] Vgl. Ortgies, Lisa: Sexsucht online. Online seit dem 1.5.2008 unter https://www.emma.de/artikel/titelgeschichte-sexsucht-online-263759.
[3] Vgl. Gantner, Martin: Porno, na und? In: Die Zeit vom 15.12.2008, online unter http://www.zeit.de/online/2008/50/porno-hysterie/komplettansicht.
[4] Vgl. Kendall, Todd: Pornography, Rape, and the Internet. Clemson University 2006. Online unter http://idei.fr/sites/default/files/medias/doc/conf/sic/papers_2007/kendall.pdf.