Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Eine Abtreibung belastet die Mutter grundsätzlich mehr als den Vater.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

Wann immer in den letzten Jahrzehnten über das Recht von Frauen auf Abtreibung diskutiert wurde, verlief die Kontroverse allem Anschein nach zwischen der Schwangeren und dem Staat. Auf der einen Seite stand das Recht des Kindes auf Leben, auf der anderen die Entscheidungsfreiheit der Frau. Der Vater des Kindes und sein Leiden kommt in der Debatte kaum vor. Wenn über die seelischen Folgen von Abtreibungen die Rede ist, die mit Symptomen wie Depressionen und Schuldgefühlen mitunter als „traumatisierend“ beschrieben werden, beschränkt sich der Blickwinkel häufig allein auf die betroffene Frau. [1]

Die Wirklichkeit ist komplexer: Inwieweit eine Abtreibung als traumatisch erlebt wird, hängt sowohl bei Frauen als auch bei Männern stark von ihrer individuellen Persönlichkeitsstruktur ab. So kommt es entgegen den allgemeinen Annahmen häufig vor, dass Frauen nach einer Abtreibung gar keine oder nur eine geringe psychische Belastung empfinden. Einer Studie der Psychologinnen Nancy Felipe Russo von der Arizona State University und Amy Dabul vom College von Phoenix aus dem Jahre 1997 zufolge beruht der mentale Zustand einer Frau nach ihrer Abtreibung sehr stark auf ihrer geistigen Verfassung vor Eintritt der Schwangerschaft – insbesondere auf dem Niveau ihres Selbstwertgefühls. Diejenigen, die den Schwangerschaftsabbruch als besonders belastend erlebten, zeigten in aller Regel lange vor ihrem Kontakt mit einer Abtreibungsklinik Anzeichen von Schwermut. Ein Großteil des Stresses ist weiterhin auf den Zustand der unerwünschten Schwangerschaft zurückzuführen und nicht auf deren Abbruch. [2] Auch spätere Forschung konnte keinen Zusammenhang zwischen dem Eingriff und seelischen Störungen feststellen. [3]

Dabei wird regelmäßig vernachlässigt, wie es den Partnern von Frauen geht, die abgetrieben haben. Eine der seltenen Ausnahmen: Im Jahr 1997 führte Catherine T. Coyle, Psychologin an der Universität von Wisconsin, Madison, gemeinsam mit Professor Robert Enright eine Studie unter Männern durch, die sich von der Entscheidung ihrer Partnerinnen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, tief verletzt zeigten. Die Mehrzahl dieser Männer war durchgehend mit dem Entschluss ihrer Partnerinnen nicht einverstanden, tendierten aber zu der in der Rechtsprechung und der öffentlichen Diskussion vorherrschenden Meinung, dass die Entscheidungsmacht hauptsächlich bei den Frauen und nur zu einem geringen Teil bei ihnen selbst lag. Als Folge der Abtreibung stellten sich bei den verhinderten Vätern emotionale Belastungszustände heraus, die traditionell allein Frauen zugeschrieben werden. Das Spektrum rangierte von Wut und Hilflosigkeit über Trauer bis zu Schuldgefühlen und Beziehungsproblemen.

Alle solchermaßen psychisch belasteten Teilnehmer dieser Studie hatten ihre Beziehung zu den früheren Partnerinnen mittlerweile aufgelöst, weil sie glaubten, diesen Frauen im Hinblick auf zukünftige Verletzungen nicht weiter vertrauen zu können. Darüber hinaus drückten sie generelle Schwierigkeiten auch im Zusammenhang mit zukünftigen Liebesbeziehungen aus, insbesondere was gegenseitiges Vertrauen anging.

Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Entscheidung ihrer Partnerin hinsichtlich gemeinsamer Nachkommenschaft wurde als starke Belastung erlebt. Aber selbst diejenigen Männer, die verzweifelt versucht hatten, ihre Partnerin von einer Abtreibung abzubringen, machten sich Vorwürfe und hatten stark damit zu kämpfen, sich selbst zu vergeben, weil ihr Zureden letztlich erfolglos geblieben war. [4] Zum Abschluss ihrer Studie weist Coyle ausdrücklich darauf hin, dass die seelische Belastung von Männern nach einer Abtreibung von der wissenschaftlichen Literatur bislang ausgeklammert und auch in der gesellschaftlichen Diskussion durchgehend ignoriert wurde. Insofern gab Coyle auch ihrer Enttäuschung über die Frauenbewegung Ausdruck, die dieses Problem trotz der Proteste vieler betroffener Männer bislang ignoriert hat: „Sie mag als eine Bewegung begonnen haben, der es um Gleichheit ging, aber jetzt geht es ihr um Macht. Männern das Mitspracherecht an der Fortpflanzung zu verweigern, hat mit Gleichberechtigung nichts zu tun.“ Inzwischen hat Catherine Coyle versucht, diese Lücke in der Literatur wenigstens mit einem einzigen Buch zu schließen: 1999 erschien in den USA ihr Ratgeber „Men and Abortion: A Path to Healing“ (Männer und Abtreibung. Ein Pfad zur Gesundung). Damit eine breite Debatte über die betroffenen Männer anzustoßen, gelang ihr allerdings nicht.

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[1] Vgl. als ein Beispiel für viele Blaß, Simone: So leiden die Frauen. Seelische Folgen einer Abtreibung sind ein Tabu-Thema. Online seit dem 2.7.2013 unter http://www.t-online.de/leben/familie/schwangerschaft/id_42838656/abtreibung-seelische-folgen-von-schwangerschaftsabbruechen.html.

[2] Vgl. Tolin, Lisa: The Effects of Abortion. In: Psychology Today 7/8 1997, S. 12

[3] Vgl. Major, Brenda und andere: Report of the APA Task Force on Mental Health and Abortion. Online unter http://www.apa.org/pi/women/programs/abortion/mental-health.pdf.

[4] Vgl. Coyle/Enright: Forgiveness Intervention with Postabortion Men. In: Journal of Consulting and Clinical Psychology, 65,(6), 1042-1046, Dezember 1997.