Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Jeder zweite Vater enthält seiner Expartnerin den Unterhalt vor.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

„Alleinerziehende und ihre Kinder sind von Armut bedroht“, berichtete die Tagesschau am 6. Juli 2016. „Eine der wichtigsten Ursachen ist die Zahlungsunwilligkeit der ehemaligen Partner. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Demnach bekommt die Hälfte der Alleinerziehenden überhaupt keinen Unterhalt vom Ex-Partner für ihre Kinder, ergab die Studie.“

Das Blog Kritische Wissenschaft war skeptisch, was die Behauptungen der Tagesschau anging, da sie allzu sehr in das bei den Öffentlich-Rechtlichen beliebte Klischee vom bösartigen Mann und dem Opfer Frau passten. [1] Michael Klein, der Betreiber des Blogs, recherchierte nach und fand heraus, dass sich die angeführte Studie der Bertelsmann-Stiftung mit ihren Zahlen auf eine Studie aus dem Jahre 2014 bezog, die der Sozialökonom Bastian Hartmann erstellt hatte. Er gelangte zum folgenden Ergebnis:

„Etwa die Hälfte aller alleinerziehenden Frauen bekommt keinen Unterhalt für die Kinder. Von den Unterhaltszahlungen, die beobachtet werden können, genügt wiederum nur etwa die Hälfte, um den Mindestanspruch zu decken. Alleinerziehende haben die Möglichkeit die Ansprüche gerichtlich einzufordern. Aus den hier verwendeten Daten geht nicht hervor, ob dies geschehen ist und in welcher Höhe der Unterhalt gerichtlich festgesetzt wurde, es bleibt lediglich festzustellen, dass er nur in den wenigsten Fällen bedarfsdeckend ist. Über die Gründe der Zahlungsausfälle kann hier nur spekuliert werden. So könnte der große Anteil ungedeckter Ansprüche an den Regularien durch die Düsseldorfer Tabelle und an der Rechtsprechung liegen. Mit anderen Worten könnten die tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen etwa durch Absenkung des Selbstbehaltes erhöht werden. Wenn das Einkommen einer unterhaltspflichtigen Person weniger vor Zugriffen geschützt wird, führt dies zwangsläufig zu höheren Zahlungen. Der Erfolg einer solchen Maßnahme ist aber mehr als ungewiss. Letztlich sind Selbstbehalt und Kindesunterhalt nur zwei Seiten einer Medaille. Würde der Selbstbehalt gesenkt, würde dies zwar zu mehr Zahlungen an die Kinder führen, gleichzeitig würden aber auf Seiten der pflichtigen Person finanzielle Engpässe entstehen. Die Unterstützungsbedürftigkeit würde nur von den Berechtigten zum Pflichtigen verlagert – jedoch nicht behoben.“ [2]

In der von der Tagesschau zitierten Bertelsmann-Studie selbst heißt es:

„Leider gibt es keinerlei Ursachenforschung, warum der Kindesunterhalt bei so vielen Alleinerziehenden nicht ankommt. … Es besteht daher dringender Forschungsbedarf, warum in so vielen Fällen Unterhaltszahlungen nicht oder nicht vollständig geleistet werden (können).“ [3]

Die Behauptung, „eine der wichtigsten Ursachen ist die Zahlungsunwilligkeit der ehemaligen Partner“, hatte sich der namentlich wie so häufig nicht genannte Tagesschau-Redakteur anscheinend nur ausgedacht. Entgegen den Behauptungen des ARD-Flaggschiffs gibt es keinerlei entsprechende Anhaltspunkte; Hartmann selbst legt mit seinen Ausführungen nahe, dass die betreffenden Väter schlicht zu wenig verdienen, um Unterhalt leisten zu können. [4]

Nachdem Klein den tatsächlichen Sachverhalt aufgedeckt und öffentlich gemacht hatte, musste die Tagesschau ihre Behauptungen zurücknehmen und um Verzeihung bitten:

„Insofern ist die Schlussfolgerung, dass der Nicht-Erhalt des Unterhalts auf Zahlungsunwilligkeit zurückgehe, unzulässig. Wir bedauern diese Verkürzung und danken unseren Lesern für entsprechende Hinweise.“ [5]

In der Tat sind ausbleibende Unterhaltszahlungen vielfach keineswegs Böswilligkeit zu verschulden. „Vielen Vätern bleiben derzeit nur 1100 Euro zum Leben – dieser Selbstbehalt ist bundesweit einheitlich festgelegt“, berichtet der Bundesvorsitzende des Interessenverbandes Unterhalt und Familienrecht (ISUV), Josef Linsler. In ländlichen Regionen wie dem Bayerischen Wald komme man damit wahrscheinlich noch gut zurecht, in Großstädten wie Hamburg dagegen kaum. „Viele Väter krebsen am Existenzminimum – das bedeutet, dass viele den Unterhalt nicht zahlen können, obwohl sie wollen.“ [6]

Kann man auch ohne konkrete Daten irgendwie einschätzen, wie hoch der Anteil derjenigen Väter ist, die den Unterhalt zurückhalten, obwohl sie ihn leisten könnten? Die Frankfurter Allgemeine hat hier nachgefasst und berichtet:

„Die kommunalen Spitzenverbände haben keine zusammenfassende Statistik. Winfried Nußbaum, Leiter der Grundsatzabteilung beim Sozialamt Köln, kann aber eine Einschätzung aus dem Kölner Behördenalltag liefern. Demnach ist in immerhin etwa jedem achten Fall der unterhaltspflichtige Vater unbekannt. In der weit überwiegenden Zahl fehle es jedoch an finanzieller Leitungsfähigkeit. Sture Zahlungsverweigerung trotz ausreichenden Einkommens komme dagegen nicht allzu oft vor, berichtet Nußbaum. Hierzu geben auch die Erfahrungen mit der neuen Kontenabfrage einen Anhaltspunkt: Sie dient ja genau dazu, diejenigen aufzuspüren, die nur so tun, als hätten sie kein Geld. Wenn 10.000 Abfragen in 1600 Fällen zum Erfolg führen, ist das ein Anteil von 16 Prozent – allerdings bezogen auf die Teilmenge jener Fälle, in denen Behörden aufgrund eines Verdachts eine Abfrage veranlassten. Bezogen auf die Gesamtheit der 450.000 Vorschussfälle, dürfte der Anteil mutwilliger Verweigerungen wohl geringer sein.“ [7]

Die allermeisten Väter zahlen schlicht deshalb keinen Unterhalt, weil sie nicht können. Trotzdem war dieses Thema für populistische Politiker ein gefundenes Fressen. „Es ist ein Skandal, dass drei Viertel der Kinder alleinerziehender Mütter keinen oder zu geringen Unterhalt vom Kindesvater bekommen“ wetterte etwa Sigmar Gabriel (SPD) und forderte Druckmittel wie Führerscheinentzug, um säumige Väter endlich zum Zahlen zu bewegen. [8] Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) schloss sich dem Vorschlag an: „Ich fordere schon sehr lange konsequent gegen Väter vorzugehen, die den Unterhalt prellen.“ [9]

Nach jahrlangem Väterbeschimpfen dieser Art legte im September 2019 das Bundesfrauenministerium endlich eine Studie vor, aus der sich mit nur wenig Mühe ersehen lässt, wie groß die Rate der Drückeberger tatsächlich ist: 61 Prozent der unterhaltspflichtigen Trennungsväter sind demnach zahlungsunfähig, 35 Prozent zahlen aktuell zurück oder haben voll zurückbezahlt und lediglich die verbleibenden vier Prozent aller Zahlungen sind vielleicht noch eintreibbar. [10]

Selbst bei den verbliebenen vier Prozent, merkt der Verband Trennungsväter e.V. an, müsse man sich indes fragen, wie es zu ihnen komme. Immerhin kann Unterhalt, auf den ein berechtigter Anspruch besteht, ja vom Lohn oder Gehalt gepfändet werden. Die Tücke liege hier bei der Berechnung eines sogenannten fiktiven Einkommens: „Wenn der Unterhaltspflichtige keine Arbeit findet oder nicht arbeiten kann oder einen zu niedrigen Stundenlohn erhält, um zu Unterhaltszahlungen verpflichtet werden zu können, wird ihm einfach unterstellt, er könnte mehr verdienen wenn er möchte. Dann wird willkürlich ein fiktives Einkommen zur Grundlage genommen und die Unterhaltshöhe bestimmt.“ [11]

Der routinierte Sexismus, mit dem die SPD-Granden in diesem Zusammenhang ausschließlich von Vätern sprechen, ist übrigens bemerkenswert. Deutlich schlechter nämlich ist es einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge um die Zahlungsmoral unterhaltspflichtiger Mütter bestellt. Von ihnen kamen sogar 85 Prozent ihren Verpflichtungen nicht nach. [12] „Es ist weitaus schwieriger, von einer Mutter Unterhalt zu kriegen, als von einem Vater“ zitiert das Blog Frauenzimmer die ehemalige Rechtspflegerin Astrid Leonhardt, die Jugendamts-Mitarbeiter in Sorgerechts- und Unterhaltsfragen schult. [13] Auch hier stellt sich die Frage, wie viele dieser Frauen nicht zahlen können und wie viele nicht zahlen wollen. Der Beziehungstherapeutin Susan Jeffers zufolge sind weiblicherseits Äußerungen wie „Jeder Mann, der um Unterhaltszahlungen bittet, ist ein Blutsauger“ jedenfalls alles andere als untypisch. [14]

Die übersteigerte Empörung über Väter, die ihre Kinder vermeintlich im Stich lassen, ist übrigens kein Novum. Schon in den neunziger Jahren hatten deutsche Zeitungen mit Schlagzeilen wie „Väter sollen zur Kasse gebeten werden – 800.000 verweigern Unterhaltszahlung für Kinder“ Stimmung gemacht. Eine Grundlage für solche Horrorzahlen gab es schon damals nicht. In einer Presseerklärung hatte die damalige Frauenministerin Claudia Nolte von 519.000 betroffenen Kindern gesprochen. Aber zu einen sind natürlich viele Väter für mehrere Kinder zugleich unterhaltspflichtig, zum anderen erwies sich auch damals laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der SPD in 70 bis 75 Prozent jeder Versuch, den Unterhalt einzutreiben, von vorneherein als aussichtslos, weil die Väter infolge der Scheidung vollkommen verarmt waren und selbst nicht genug zum Knabbern hatten. Dies bestätigten damals auch die Hamburger Jugendbehörde und der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht in Nürnberg. [15] Offensichtlich appellierte der Mythos von den gefühlskalten Rabenvätern aber an derart tief sitzende Vorurteile, dass er zwanzig Jahre später wieder aus der Mottenkiste geholt wurde.

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[1] Vgl. so ziemlich jede Talkshow zum Geschlechterthema von Sandra Maischberger und Anne Will sowie zahllose weitere Sendebeiträge.

[2] Vgl. Hartmann, Bastian: Unterhaltsansprüche und deren Wirklichkeit. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 2014, S. 14. Online unter https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.466460.de/diw_sp0660.pdf.

[3] Vgl. Lenze, Anne und Funcke, Antje: Alleinerziehende unter Druck. Bertelsmann-Stiftung 2016, S. 21. Online unter http://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Familie_und_Bildung/Studie_WB_Alleinerziehende_Aktualisierung_2016.pdf.

[4] Vgl. Klein, Michael: ARD-Schmierenjournalismus: Die Erfindung der unterhaltsprellenden Väter. Online seit dem 6.7.2016 unter https://sciencefiles.org/2016/07/06/ard-schmierenjournalismus-die-erfindung-der-unterhaltsprellenden-vaeter.

[5] Zitiert nach Klein, Michael: Nach ScienceFiles-Bericht: ARD zu Richtigstellung gezwungen. Online seit dem 8.7.2016 unter https://sciencefiles.org/2016/07/08/nach-sciencefiles-bericht-ard-zu-richtigstellung-gezwungen.

[6] Vgl. Dowideit, Anette: Wenn der Vater selbst am Existenzminimum krebst. In: Die Welt vom 10.3.2014, online unter https://www.welt.de/wirtschaft/article125636512/Wenn-der-Vater-selbst-am-Existenzminimum-krebst.html.

[7] Vgl. Creutzburg, Dietrich: Viele Unterhaltsverweigerer kommen durch. In: Frakfurter Allgemeine Zeitung vom 10.4.2017, online unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/alimente-viele-unterhaltsverweigerer-kommen-durch-14964901.html.

[8] Vgl. N.N.: SPD-Chef fordert Knallhart-Strafe. Wer keinen Unterhalt zahlt, soll den Führerschein abgeben. In: Bild vom 8.8.2016 unter http://www.bild.de/politik/inland/sigmar-gabriel/fordert-fuehrerschein-entzug-fuer-vaeter-die-keinen-unterhalt-zahlen-47215202.bild.html.

[9] Vgl. N.N.: SPD will säumigen Vätern den Führerschein entziehen. In: Focus vom 10.8.2016, online unter http://www.focus.de/politik/deutschland/wer-geld-fuer-ein-auto-hat-muss-auch-geld-fuer-sein-kind-haben-unterhalt-nicht-gezahlt-spd-will-saeumigen-vaetern-den-fuehrerschein-entziehen_id_5804793.html

[10] Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Neue Statistik zur Unterstützung Alleinerziehender durch das Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Online unter https://www.bmfsfj.de/blob/138166/4c4ec28b9ed03cbd5034b773b751d4f7/statistik-unterhaltsvorschussgesetz-data.pdf.

[11] Vgl. https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=2572940689430479&id=240590505998854.

[12] Vgl. Menkens, Sabine: Staat springt für Hunderttausende säumige Väter ein. In: Die Welt vom 22.8.2018, online unter https://www.welt.de/politik/deutschland/article181269948/Unterhaltsvorschuss-Staat-springt-fuer-Hunderttausende-saeumige-Vaeter-ein.html.

[13] Vgl. N.N.: Mutter zahlt kein Unterhalt: Warum immer mehr Frauen ihre Familie verlassen. Online seit dem 24.2.2015 unter http://www.frauenzimmer.de/cms/mutter-zahlt-kein-unterhalt-warum-immer-mehr-frauen-ihre-familie-verlassen-2216097.html.

[14] Vgl. Jeffers, Susan:… aber lieb sind sie doch. Die notwendige Demontage des Feindbilds Mann. Düsseldorf 1989, S. 94.

[15] Vgl. Jäckel, Karin: Der gebrauchte Mann. Abgeliebt und abgezockt – Väter nach der Trennung. München 1997, S. 203-205 sowie Matussek, Matthias: Die vaterlose Gesellschaft. Überfällige Anmerkungen zum Geschlechterkampf. Reinbek bei Hamburg 1998, S. 134-135.