„Mit der Ganztagsbeschulung kann man erreichen, dass mehr Mütter ganztags arbeiten.“
DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:
Es klang so schön in der feministischen Theorie: Männer arbeiten in der Regel ganztags, Frauen sehr viel seltener. Woran kann das liegen? Natürlich an Diskriminierung, denn in der feministischen Theorie beruht so ziemlich jeder Unterschied im Verhalten zwischen den Geschlechtern auf Diskriminierung: Frauen bleiben nicht etwa deshalb lieber den halben Tag zu Hause, weil das angenehmer als ein Acht-Stunden-Job ist und sie im Gegensatz zu Männern nicht von der Erwartung belastet sind, eine Familie ernähren zu müssen. Nein, sie bleiben zu Hause, weil sie durch ihre Kinder an dieses Zuhause „gefesselt“ sind. Das unterschiedliche Verhalten der Geschlechter würde sich demnach beheben lassen, indem der Staat eingreift und öfter eine Ganztagsbeschulung anbietet. Befreit von der Last der Kindererziehung würden Frauen bestimmt verstärkt arbeiten gehen, statt einen entspannten Nachmittag daheim zu verbringen.
Wenn man diese Logik so zusammenfasst, hört sie sich nicht besonders fundiert an. Und trotzdem überzeugte sie das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Laufe der Jahre rund vier Milliarden Euro in Maßnahmen zur Ganztagsbeschulung zu investieren, ergänzt durch zusätzliche Mittel der Länder und Kommunen. [1]
Wenig überraschend erwies sich dieses Konzept als Rohrkrepierer. Dies zeigte eine im Jahr 2017 veröffentlichte Studie, die die Wirtschaftswissenschaftler Marie Paul von der Universität Duisburg-Essen (UDE) und Fabian Dehos vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung durchführten. Ihre Ergebnisse waren ernüchternd. Es ließ sich nicht einmal nachweisen, dass Mütter, die das zusätzliche Betreuungsangebot tatsächlich in Anspruch nahmen, länger arbeiteten, also zum Beispiel von Teilzeit auf Vollzeit umstiegen. „Die zusätzlichen Ganztagsschulplätze haben weder einen direkt ursächlichen Effekt auf die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden noch auf die Beschäftigungswahrscheinlichkeit von Müttern mit Grundschulkindern“, erläutert Fabian Dehos. [2] Und Professorin Paul ergänzt: „Wer seine Kinder nachmittags in der Schule versorgt weiß, sucht sich nicht deswegen einen Job oder stockt seine Stunden auf. Außerdem sind viele Frauen nicht zwingend auf die Ganztagsschule angewiesen, obwohl sie arbeiten. Sie würden die Betreuung auch anders organisieren.“ [3]
Dasselbe Prinzip zeigt sich bei Müttern von Kindern im Vorschulalter: Auch kostenlose Betreuungsplätze für die Kleinsten in Kindertagesstätten führen keineswegs dazu, dass Frauen verstärkt arbeiten gehen. Mit diesem Argument hatten zahlreiche Bundesländer die Gebühren für Kindertagesstätten zumindest teilweise abgeschafft, und die SPD versprach im Bundestagswahlkampf 2017 kostenlose Kita-Plätze für alle. Eine Studie, die zwei Forscherinnen des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) erstellten, zeigt allerdings, dass zwar mehr Kinder eine Kita besuchten, Frauen deswegen aber keineswegs vermehrt beruflich tätig werden. [4]
———————-
[1] Vgl. Eckert, Daniel: Die große Illusion der Ganztagsschule. In: Die Welt vom 10.4.2017, online unter https://www.welt.de/wirtschaft/article163561028/Die-grosse-Illusion-der-Ganztagsschule.html. Die zitierte Studie ist unter dem Titel „The Effects of After-School Programs on Maternal Employment“ erschienen.
[2] Vgl. Eckert, Daniel: Die große Illusion der Ganztagsschule. In: Die Welt vom 10.4.2017, online unter https://www.welt.de/wirtschaft/article163561028/Die-grosse-Illusion-der-Ganztagsschule.html.
[3] Vgl. N.N.: Mütter arbeiten trotz Ganztags nicht Vollzeit. In: WAZ vom 25.4.2017, online unter http://www.waz.de/staedte/essen/muetter-arbeiten-trotz-ganztags-nicht-vollzeit-id210355567.html.
[4] Vgl. Beeger, Britta: Warum kostenlose Kita-Plätze ihr Ziel verfehlen. In: Frankfurter Allgemeine vom 29.1.2018, online unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kostenlose-kitaplaetze-bringen-nicht-mehr-frauen-in-arbeit-15421579.html.