Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Wer in der Prostitution tätig ist, leidet entsetzlich.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

„Bordell Deutschland“ hatte das ZDF eine am 18. November 2017 ausgestrahlte Dokumentation über Sexhandel in Deutschland betitelt. [1] Sicherlich rein zufällig hatte der Spiegel einige Jahre zuvor einer Titelgeschichte denselben Namen gegeben. [2] Die beiden Beiträge hatten auch andere Gemeinsamkeiten. Beide erreichten ein Massenpublikum und wurden von anderen Medien aufgegriffen. Beide zeichneten ein entsetzliches Bild, was käufliche Sexualität anging. Sowohl die reißerischen Behauptungen des ZDF [3] als auch die des Spiegel [4] wurden von Prostituierten selbst, wie sie sich etwa in der Selbsthilfeorganisation Doña Carmen zusammenfanden, in einer mehrseitigen Analyse mit vielen Quellenangaben minutiös zerpflückt und widerlegt. Doña Carmen nimmt hier kein Blatt vor den Mund und spricht mit Bezug auf das ZDF deutlich von „Fake News“.

Doña Carmen äußert sich auch zu der Methode des ZDF, Aussteigerinnen aus der Prostitution als Kronzeuginnen für die angeblich unhaltbaren Zustände einzusetzen:

„Aussteigerinnen aus der Prostitution sollten das Recht haben, gehört zu werden.  Selbstverständlich gibt es Frauen, die mit der Prostitution nicht zurechtkommen und sie möglichst schnell hinter sich lassen sollten. Das alles aufzuzeigen und zu dokumentieren, ist legitim. Etwas anderes aber ist es, diese Einzelschicksale und deren Leid zu missbrauchen, um alle Prostituierte als geschädigt, als traumatisiert und als Opfer von Gewalt zu präsentieren. Pars pro toto – so macht man sich die Abrechnung mit Prostitution leicht.“

Eine letzte Gemeinsamkeit: In beiden Fällen widmeten Journalisten dieser Widerlegung durch erkennbare Expertinnen aus dem Gewerbe nicht einmal einen Bruchteil der Aufmerksamkeit wie der dramatischen Darstellung der Medienkollegen zuvor. Mit der Schlagzeile „Alles halb so schlimm“ verkauft man nun mal keine Zeitung.

Dieses Muster hat Methode. Als feministisch geprägte Frauen aus der Medienbranche wie Lena Dunham, Anne Hathaway, Meryl Streep und Kate Winslet in einem Protestbrief, der auch von Alice Schwarzers Emma unterstützt wurde, erklärten, Prostitution sei gegen die Menschenrechte, wurde das selbstverständlich auch von deutschen Medien breit aufgegriffen. [5] Das Medieninteresse blieb jedoch aus, als sich tatsächliche Sexarbeiterinnen entschieden gegen ihre vermeintlichen „Beschützerinnen“ verwahrten. [6] Das ist eigentlich erstaunlich, weil die Forderung, Promi-Frauen sollten sich bei einem Thema, von dem sie keine Ahnung haben, lieber zurückhalten, von 180 Menschenrechtsorganisationen unterstützt wurde: darunter Gruppen wie die Global Alliance Against Traffic in Women, die International Gay and Lesbian Human Rights Commission, das New York Anti-Trafficking Network, das US-amerikanische National Center for Transgender Equality sowie Vereinigungen von Sexarbeiterinnen von Ungarn über Kenia bis Indien. [7] Amnesty International hatte ohnehin schon die Entkriminalisierung von Sexarbeit in den Ländern gefordert, in denen diese Dienstleistung noch als illegitim galt. Aber so wie die deutschen Medien funktionieren, haben Hunderte solcher Organisationen gegen Alice Schwarzers Team unterstützt von diversen Hollywoodfrauen keine Chance, was die Berichterstattung angeht.

Es blieb Bloggern wie Robert Fendt überlassen, auf die irrwitzige Schieflage der Debatte hinzuweisen:

„Die Reaktion auf die erwähnte Forderung von Amnesty International nach einer weitgehenden weltweiten Entkriminalisierung von Sexarbeit ließ natürlich auch hierzulande nicht lange auf sich warten. ‚Amnesty kämpft jetzt auch für Zuhälter‘ titelte der Spiegel in seiner Online-Ausgabe, zog diese Überschrift allerdings später verschämt wieder zurück. (…) Was mich dabei fasziniert, ist, dass auf Kritiker-Seite nie jemand auf die Idee kommt, mit den Sexarbeiterinnen selbst zu sprechen. Amnesty International hat genau dies getan, und zwar nicht mit einzelnen Frauen, sondern mit Hunderten weltweit, und schloss in der Folge sich deren Forderung nach Entkriminalisierung an.“ [8]

Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ist die These, dass Sexarbeit – ob in Pornographie oder Prostitution – die Seele zerstöre, ohnehin kaum vereinbar. Stattdessen belegt eine ganze Reihe von Untersuchungen das Gegenteil.

So berichtet der Soziologe Ronald Weitzer von der George Washington University berichtet, dass die Hälfte von knapp 200 Sexarbeiterinnen angeben, dass ihre Arbeit eine wesentliche Quelle der Zufriedenheit in ihrem Leben darstelle. In derselben Untersuchung stellten zwei Drittel der im Bordell tätigen Frauen und sieben von neun Callgirls klar, wenn sie noch einmal die Wahl hätten, würden sie sich „definitiv für denselben Job entscheiden“. [9] Die Psychologin Sarah Romans führte eine Untersuchung durch, die Sexarbeiterinnen in Wohnungen (statt auf dem Straßenstrich) mit ähnlichen Frauen verglich, die keine Sexarbeiterinnen waren. Sie konnte keinerlei Unterschiede ausmachen, was körperliche oder geistige Gesundheit betraf, ihr Selbstwertgefühl oder die Qualität ihres sozialen Netzwerks. [10]

Der Sexualtherapeut Michael Aaron berichtet in seinem 2016 erschienenen Buch „Modern Sexuality. The Truth About Sex and Relationships“ Folgendes:

„Etwa 15 Prozent der Besucher meiner Praxis sind Sexarbeiter. (…) Die, die einige Zeit in der Sexarbeit verbracht haben, sagen, dass dies ihre Selbstachtung erhöht hat und ihnen eine Bandbreite an Möglichkeiten gab, vom Finanziellen bis zum Reisen, die sie andernfalls nicht gehabt hätten. (…) Wenn es um Beziehungen geht, liegt das Problem in der Regel eher bei dem Partner und seinem (oder ihrem) Mangel an Akzeptanz für den Lebensstil als bei tief sitzenden psychologischen Problemen, die die Frau daran hindern, eine Beziehung einzugehen. (…) Die meisten Sexarbeiter wehren sich dagegen, ihren Beruf zu wechseln, auch wenn sie von ihrem Partner unter Druck gesetzt werden. Dies zu tun würde ihre Unabhängigkeit und ihr Selbstwertgefühl untergraben, das sie durch Sexarbeit entwickelt und gefördert haben.“ [11]

Zum Verdruss so mancher Feministin forderten zwei von den Vereinten Nationen im Jahr 2012 veröffentlichte Berichte ein Ende der Gesetze, die Sexarbeit kriminalisieren. Beide Berichte basieren auf Hunderten von Berichten aus der Sexarbeit in mehr als 140 Ländern. Es ist demnach die rechtliche Diskriminierung dieses Berufs, die für die Betroffenen zu Gewalt sowie wirtschaftlicher und sozialer Ausgrenzung führt. Beweise dafür, dass Entkriminalisierung zu mehr Prostitution und vergleichbaren Tätigkeiten führe, gibt es nicht. Stattdessen deute alles darauf hin, dass der Ansatz, Sexarbeit als legitime Arbeit zu definieren, die Menschen stärkt, die solchen Tätigkeiten nachgehen. [12]

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[1] Die Sendung steht bis zum 18.10.2020 online unter https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/bordell-deutschland-milliardengeschaeft-prostitution-102.html.

[2] Vgl. Der Spiegel Nr. 22/2013.

[3] Vgl. Doña Carmen e.V.: Wie das ZDF-Publikum verschaukelt wird. Mit Fake News Stimmung gegen

‚freiwillige Prostitution‘. Online seit dem 17.11.2017 unter https://www.donacarmen.de/zdf-doku-bordell-deutschland.

[4] Vgl. Doña Carmen e.V.: SPIEGEL verschärft Medienhetze gegen die Legalisierung von Prostitution. Online seit dem 26.5. 2013 unter https://www.donacarmen.de/stellungnahme-von-dona-carmen-e-v-zur-spiegel-titelgeschichte-bordell-deutschland.

[5] Vgl. beispielsweise Ruzicka, Mona: Prostitution? Das ist gegen die Menschenrechte! In: Die Welt vom 29.7.2015, online unter http://www.welt.de/kultur/article144593032/Prostitution-Das-ist-gegen-die-Menschenrechte.html.

[6] Vgl. Shire, Emily: Prostitutes Tell Lena Dunham to Stop Grandstanding About Sex Work. Online seit dem 29.7.2015 unter https://www.thedailybeast.com/prostitutes-tell-lena-dunham-to-stop-grandstanding-about-sex-work.

[7] Vgl. Brown, Elizabeth Nolan: Sex Workers From Around the World Tell Hollywood to Mind Its Own Business. in: Reason vom 31.7.2015, online unter http://reason.com/blog/2015/07/31/sex-workers-push-back-against-hollywood.

[8] Vgl. Fendt, Robert: Prostitution: warum Amnesty Recht hat und EMMA nicht. Online seit dem 16.8.2015 unter http://www.rm-f.de/site/node/344.

[9] Vgl. Weitzer, Ronald: Prostitution: Facts and Fictions. Contexts 6, Nr. 4/2007, S. 28-33.

[10] Vgl. Romans, Sarah E. und andere: The Mental and Physical Health of Female Sex Workers: a Comparative Study. In: Australian and New Zealand Journal of Psychiatry 35, Nr. 1/200), S. 75-80.

[11] Vgl. Aaron, Michael: Modern Sexuality. The Truth About Sex and Relationships. Rowman & Littlefield 2016, Kapitel 4.

[12] Vgl. Grant, Melissa Gira: Don’t Trust „Feminists“ Fighting To Keep Sex Work Illegal. Online seit dem 8.10.2013 unter http://talkingpointsmemo.com/cafe/don-t-trust-feminists-fighting-to-keep-sex-work-illegal.