Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Männer haben sich die erstrebenswertesten Berufe gesichert.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

Die feministische Rhetorik beklagt es seit Jahrzehnten: Man müsse sie sich nur einmal anschauen, die Management-Zirkel, die Vorstandsetagen großer Banken und Konzerne, überhaupt alle Entscheidungsträger der internationalen Wirtschaft und Politik. Außer der einen oder anderen Alibifrau, die doppelt so gut wie jeder männliche Kollege sein müsse, um diesen Posten zu erlangen, tauchen dort fast ausschließlich Männer auf. Ganz offenkundig hätten sich Männer die besten Plätze in der Berufswelt gesichert – und Frauen zögen den Kürzeren. Damit sei die „patriarchale Frauenunterdrückung“ bestens belegt.

Tatsächlich sollte jedem Grundschüler offenkundig sein, dass sich die Sicht verzerrt, wenn man bei einer Betrachtung der Berufswelt den Blick einzig und allein auf die Topetagen der Wirtschaft richtet. Wie viele Prozent der männlichen Bevölkerung schaffen es denn überhaupt dorthin – selbst wenn man sämtliche Spitzenpositionen in unserem Land zusammenzählt? Sind diese wenigen Menschen in irgendeiner Weise stellvertretend für den Arbeitsalltag des Durchschnittsmannes? Der feministische Denkfehler, der hier vorliegt, wird als „Apex Fallacy“ („Gipfel-Trugschluss“) bezeichnet.

Würden Feministinnen versuchen, das Gesamtbild zu erfassen, würden sie etwas anderes sehen:

· Männlich ist der anstrengendere Beruf (schwere Fabrikarbeit, Tätigkeit an Hochöfen, in Gießereien, auf Baustellen, in der Landwirtschaft, beim Transport von Gütern, bei Müllabfuhr und Straßenreinigung).

· Männlich ist der gefährlichere Beruf (Polizisten, Bergarbeiter, Mitglieder von Rettungsmannschaften, Feuerwehrleute, Taxifahrer, Risikospekulant).

· Männlich ist der unsympathischere Beruf (Schlächter, Jäger, Bestattungsunternehmer, Staatsanwälte und Gerichtsvollzieher).

· Männlich ist der abstoßendere Beruf (Gerichtsmediziner, Müllverwerter, Kloakenreiniger).

· Männlich ist der weniger heimatnahe Beruf (Handelsvertreter, Fernfahrer, Schiffs- und Bahnpersonal).

· Männlich ist der zeitraubendere Beruf (Ärzte, Juristen, Politiker).

· Männlich ist der einsamere Beruf (sämtliche naturwissenschaftliche Forschung).

Beispielsweise wählen auch Medizinerinnen eher einen Bereich wie die Kinder- oder Erwachsenenpsychiatrie als die Chirurgie, weil sie dort weder mit dem Tod noch mit der 100-Stunden-Woche in Berührung kommen. Generell bieten typische Frauenberufe wie etwa im Bereich Büro, Verkauf, Erziehung oder Dienstleistung unbestreitbar bessere Arbeitsbedingungen als von Männern ausgeübte Tätigkeiten. Natürlich wird feministischerseits gerne auf die typischen undankbaren Frauenberufe Putzfrau und Krankenschwester verwiesen, aber auch diese Jobs sind mit den Belastungen, die Kanalarbeitern oder Ärzten aufgebürdet werden, nicht zu vergleichen. [1]

Auch die typischen „Todesberufe“ – die Jobs mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen, was z. B. Stress, Bezahlung, Arbeitsumfeld, Aufstiegschancen, Gefahren am Arbeitsplatz und körperliche Beanspruchung angeht – werden heute fast ausschließlich von Männern ausgeübt. Männer erleiden 95 Prozent aller Berufsunfälle (z. B. bei der Feuerwehr, im Baugewerbe, Kohlebergbau oder bei der Durchführung von Schwertransporten). [2] Jetzt, wo den Frauen die Berufswahl weit offen steht, sucht sich immer noch die Mehrzahl von ihnen ein sicheres, angenehmes und wenig belastetes Umfeld aus (z.B. als Bürofachkraft, im Bereich der Datenverarbeitung oder im Bank- und Versicherungswesen). [3]

Nicht zuletzt kann eine Frau, ohne soziale Sanktionen befürchten zu müssen, in Mutterschaft oder Familie ausweichen. Sie hat letztlich die Wahl zwischen Vollzeittätigkeit, Teilzeitarbeit in verschiedenen Konstellationen oder einer reinen Hausfrauenrolle. Ein Mann, auch wenn ihm mehrere Jahrzehnte Acht-Stunden-Tag als Hölle erscheinen, hat in aller Regel die Wahl zwischen Vollzeitarbeit, Vollzeitarbeit und Vollzeitarbeit.  Dafür dürfen sich Männer allerdings als Ausbeuter diffamieren lassen, die Frauen in Teilzeitbeschäftigungen oder gänzlich aus dem Arbeitsleben „drängen“, als ob diese Frauen unfähig seien, eigene rationale Entscheidungen zu treffen.

Und wie sieht es wirklich aus bei jenen wenigen Prozent der männlichen Berufstätigen, die es in gut bezahlte Positionen geschafft haben und die für viele Feministinnen die Einwohner des Gelobten Landes darzustellen scheinen? Zwei Dinge liegen hier schon auf der Hand, ohne dass sie noch einmal lange erörtert werden müssen. Erstens: Die Männer in dieser Gruppe haben erst recht keine Zeit für ihre Familie. Zweitens: In dieser Gesellschaftsschicht haben es die Ehefrauen dieser Männer erst recht nicht mehr nötig zu arbeiten. Das alte Spiel setzt sich fort: Wenn man die Situation der Geschlechter Schicht für Schicht vergleicht, statt sie willkürlich durcheinander zu würfeln, sind die Frauen oft besser dran. Zumal der Managerposten nicht durch Heirat zu erreichen ist, sondern erst nach einem harten und zermürbenden Ausleseprozess.

Schließlich ist eine gute Konstitution dafür auch dringend notwendig. Zwar fühlt sich ein Mann in einer höheren beruflichen Position im Schnitt zufriedener als ein Mann in einer niedrigen Position [4] – oft bezahlt er aber einen hohen Preis für seine Karriere.

Untersuchungen unter Tausenden von Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführern großer Firmen und Konzerne sowie freiberuflich Tätigen (Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Ärzte) und Angestellten des mittleren Managements brachten folgende Erkenntnisse über das Lebensgefühl oberhalb der „gläsernen Decke“ hervor: Fast die Hälfte beklagt, dass sie ihre Arbeit so in Anspruch nimmt, dass für ein Privatleben kaum Zeit bleibt. Jeder Fünfte ist generell unzufrieden mit dem Malocherzwang. Was nicht verwundert: In den obersten Etagen wird heute 13 Stunden pro Tag gerackert, das Wochenende eingerechnet. Bei jedem vierten Schwerverdiener nimmt der Beruf mehr als vier Fünftel des gesamten Tages in Anspruch – eine Sklaverei, die sich mit manchem Geplacke in den untersten Schichten vergleichen lässt. 84 Prozent der Manager wissen, dass ihr Tagesrhythmus sich mit einer unbelasteten Ehe nicht vereinbaren lässt, Freunde haben sie aus Zeitmangel auch so gut wie keine mehr, und selbst in der Rolle des autoritären „Chefs“ fühlen sich viele unbehaglich. 53 Prozent fällt es schwer,  Anweisungen zu geben. Viele Bosse bezweifeln, dass man sie ohne Titel und Status überhaupt respektieren würde. Oft genug war es für sie nur nach (selbst-)zerstörerischen Schlammschlachten möglich, an die Spitze zu kommen. 58 Prozent der im mittleren Management Tätigen sowie der erfolgreichen Selbstständigen glauben, wegen der Karriere gedankenlos Jahre verschwendet zu haben und nun trotz allen äußerlichen Erfolges ein sinnentleertes Leben zu führen. Zu dem zwanghaften Drang, schwierige und umfangreiche Aufgaben zu übernehmen, um endlich die für das Selbstwertgefühl so dringend notwendige und bislang vermisste Anerkennung zu erhalten, kommt die wachsende Unfähigkeit, eigene Bedürfnisse und Wünsche von Fremdbestimmung zu unterscheiden. [5]

Bereits Ende der achtziger Jahre wollten siebzig Prozent der Männer lieber einen anderen als den eigenen Beruf ausüben, fand der Soziologe und Geschlechterforscher Professor Walter Hollstein heraus. Nur selten aber teilten sie ihren Partnerinnen ihre Unzufriedenheit mit: „Unter der Arbeit zu leiden gilt als unmännlich.“ [6] Es sollte offensichtlich sein, dass von einem Genießen der schwer erarbeiteten Finanzen in nur sehr eng umgrenztem Ausmaß die Rede sein kann. Vielen Anwälten bringt ihr Streben nach Einkommen und Anerkennung stattdessen schon im Alter zwischen dreißig und vierzig Jahren Herzschmerzen, Bluthochdruck, Arthritis und Schlaflosigkeit ein. [7] Managern geht es nicht anders. Zur Palette ihrer Beschwerden zählen Herz-Kreislauf-Probleme, Magenschleimhautentzündungen und -geschwüre, vegetative Störungen, Herzinfarkte, Nervenzusammenbrüche sowie diverse Ängste, Depressionen und Suchtkrankheiten. Der Missbrauch und die Abhängigkeit von Alkohol und Tabletten ist bei Führungskräften deutlich höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. [8] Auch die typische „Herzinfarktpersönlichkeit“ stimmt ziemlich exakt mit dem Ideal des energiegeladenen, ehrgeizigen, aggressiven und durchsetzungsstarken Machers in der Leistungsgesellschaft überein. [9]

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[1] Vgl. Farrell, Warren: Mythos Männermacht. Frankfurt am Main 1995, S. 129, 144 und 243 sowie Vilar, Esther: Der dressierte Mann. Das polygame Geschlecht. Das Ende der Dressur. München 1987, S. 327-331.

[2] Vgl. Farrell, Warren: Mythos Männermacht. Frankfurt am Main 1995, S. 130.

[3] Vgl. beispielsweise Siems, Dorothea: Die meisten Frauen wollen keine männliche Karriere. In: Die Welt vom 24.4.2013, online unter https://www.welt.de/debatte/kommentare/article115572446/Die-meisten-Frauen-wollen-keine-maennliche-Karriere.html

[4] Vgl. N.N.: Führungspositionen machen nur Männer zufriedener. In: Spiegel Nr. 4/2011, online seit dem 22.1.2011 unter http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/a-741013.html.

[5] Vgl. Baumli, Francis: Men Freeing Men. Exploding the Myth of the Traditional Male. Jersey City 1985, S. 285; Halper, Janice: Die andere Seite des erfolgreichen Mannes. Landsberg 1992, S. 10-25; Mischke, Roland: Nur Mut, Männer! Zum neuen Selbstverständnis einer gefährdeten Spezies. Bergisch Gladbach 1990, S. 171-172.

[6] Vgl. Köpf, Peter und Provelegios, Alexander: Der Winterschlaf der Männer ist vorbei. Für eine neue Allianz von Adam und Eva. Stuttgart 2000, S. 75.

[7] Vgl. Farrell, Warren: Mythos Männermacht. Frankfurt am Main 1995, S. 241.

[8] Vgl. Brandes, Holger und Bullinger, Hermann (Hg.): Handbuch Männerarbeit. Weinheim 1996, S. 55.

[9] Vgl. Mischke, Roland: Nur Mut, Männer! Zum neuen Selbstverständnis einer gefährdeten Spezies. Bergisch Gladbach 1990, S. 51.