Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Sexuelle Belästigung wird von überaus vielen Männern begangen.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

Als sich im Herbst 2017 die MeToo-Debatte international Bahn brach, ging es schnell von Anklagen gegen bestimmte Männer, denen sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden, zu Anklagen gegen die Männerwelt im Allgemeinen über. „Praktisch jeder Mann über 30 muss über seinen eigenen Anteil daran nachdenken“, erklärte etwa die Schauspielerin Jodie Foster als eine von vielen, die ähnlich denken. „Es ist eine interessante Zeit für Männer.“ [1]

Die Mitglieder des angefeindeten Geschlechts wurden einmal mehr nur noch als Defizitwesen dargestellt, wie der Professor für Soziologie Walter Hollstein feststellte, [2] Frauen schätzten sich glücklich, in diesen „Männerbeschimpfungstagen“ weiblich zu sein. [3] Seine Selbstzweifel, ob er sich überhaupt „das Recht herausnehmen“ dürfe, sich in eine Debatte „einzumischen“, in der er wegen seiner Geschlechtszugehörigkeit beständig angegriffen wurde, schilderte Tomasz Kurianowicz in dem Zeit-Artikel „Der verunsicherte Mann“ und führte aus: „Ich möchte mitreden in der Sexismus-Debatte. Feministinnen finden das wiederum sexistisch.“ [4] Manche Frauen trugen ihren Triumph über solche Reaktionen offen zur Schau: „Verunsicherte Männer sind in einem guten Zustand“ feixte die Künstleragentin Heike-Melba Fendel in der Talkrunde von Anne Will, in der Einmütigkeit darüber herrschte, dass Empathie in der Geschlechterdebatte allein Frauen zukommen solle.[5] Als ein Spiegel-Journalist das „ranzige Männerbild“ dieser Debatte beklagte, [6] wurde ihm in den Leserbriefen zu diesem Artikel gründlich der Kopf gewaschen.

Ein beliebter Kampfbegriff, den manche Feministinnen in diesem Zusammenhang verwenden, lautet „rape culture“ („Vergewaltigungskultur“), womit suggeriert wird, dass sexuelle Übergriffe ein zentrales Merkmal unserer Gesellschaft seien. Wissenschaftler können sich dieser Propaganda nicht anschließen. Beispielsweise merken die Psychologen Martin Seager und John Barry hierzu an:

„Die Vorstellung einer ‚rape culture‘, entstanden in den USA der siebziger Jahre, hat zunehmend an Glaubwürdigkeit gewonnen. Allerdings zeigen Zahlen aus dem Jahr 2012 für die USA, dass bei 0,6 Prozent aller Männer sexuelle Übergriffe verzeichnet wurden, was bedeutet, dass das bei 99,4 Prozent aller Männer nicht der Fall war. Selbst wenn man von einer unvermeidbaren Dunkelziffer ausgeht und anerkennt, dass jede Vergewaltigung eine zuviel ist, zeigt die Faktenlage, dass die riesige Mehrheit der Männer nicht sexuell gewalttätig oder gefährlich ist. Die öffentliche Wahrnehmung allerdings ist vollkommen anders, vor allem im Zeitalter von #MeToo und ‚Genug ist genug‘.“ [7]

Auch die Neurowissenschaftlerin Debra Soh warnt ausdrücklich vor einer Verdammung der männlichen Sexualität:

„Da sich die Zahl der Opfer immer weiter vermehrt und Versuche unternommen werden, eine Erklärung dafür zu finden, ist es für uns wichtig zu erkennen, dass Sexualität – und zwar die männliche Sexualität – nicht für den Skandal verantwortlich zu machen ist, der sich in grellen Details vor uns ausbreitet. Als jemand, der sowohl klinisch als auch forschend mit inhaftierten Sexualstraftätern zusammengearbeitet hat, lassen Sie mich eines klarstellen: Die meisten Männer vergewaltigen oder belästigen Frauen nicht. Dementsprechend ist räuberisches sexuelles Verhalten nicht das Ergebnis von Männlichkeit und Sexualtrieb, sondern dass einige Männer sich bewusst dafür entscheiden, unethisch und uneinvernehmlich zu handeln.

In den letzten Jahren hat es immer mehr den Trend gegeben, Männer mit Begriffen wie ‚toxic masculinity‘ zu beschämen und zu pathologisieren, weil sie an Frauen einen Hauch von sexuellem Interesse haben, aber dieser Trend liefert keine sinnvollen Lösungen. Es gibt einen Unterschied zwischen gesunder Sexualität und Sexualität, die die Grenzen anderer Menschen überschreitet. Beides als symptomatisch für alle Männer zusammenzuführen, ist weder hilfreich noch produktiv, und diejenigen, die diese Art von Übertretungen begehen, wird kulturelle Beschämung nicht aufhalten.“ [8]

Um eines klarzustellen: Es geht hier nicht darum, sexuelle Belästigung als Problem kleinzureden. Wer sich so wie ich mit vielen Frauen über dieses Thema unterhält, wird schnell feststellen, dass manche davon über keine entsprechenden Erfahrungen berichten können, andere hingegen (etwa besonders attraktive Frauen, Frauen, die in der Gastronomie arbeiten etc.) so häufig Belästigungen erleben, dass es ihre Lebensqualität durchaus beeinträchtigt. Solange sie keine beinharten Ideologinnen sind, berichten betroffene Frauen aber ebenso freimütig: Belästigungen treffen Männer (etwa in der Gastronomie) ebenso, und Täter bei Übergriffen auf Frauen sind keineswegs „alle“ oder „die meisten“ Männer, sondern eine kleine Gruppe von Widerlingen, die mit grundlegendem Sozialverhalten überfordert scheinen.

All der oben zitierten sexistischen Polemik zum Trotz weist vieles sogar eher auf folgenden Sachverhalt hin: Männer sind weit überwiegend nicht zu forsch, wenn es darum geht, mit einer Frau Kontakt aufzunehmen, sondern im Gegenteil nicht forsch genug. Das fanden zum Beispiel die Experimentalpsychologen Debra Walsh und Jay Hewitt heraus, indem sie eine attraktive Frau in eine Cocktail-Lounge setzten und sie anwiesen, drei Formen unterschiedlichen Verhaltens zu zeigen:

1. besonders auffordernd: Dabei sah sie den Mann, mit dem sie eine Bekanntschaft wünschte, wiederholt an, stellte Blickkontakt her und lächelte.

2. auffordernd: Dabei stellte sie nur mit den Augen einen Kontakt her, ohne dabei zu lächeln,

und

3. spröde: Hierbei verzichtete sie sogar auf den Blickkontakt.

Das Ergebnis: Im ersten Fall wagten sich 60 Prozent der Männer an ihren Tisch, im zweiten Fall 20 Prozent und im dritten kein einziger. Anders gesagt: Volle 40 Prozent der körpersprachlich Angeflirteten ließen sich auch durch deutliche Signale nicht dazu bewegen, die unbekannte Schöne auch nur anzusprechen. [9]

Viele Frauen sind von dieser Zurückhaltung, die typisch für die meisten Männer ist, alles andere als begeistert. Eine britische Journalistin war so verärgert darüber, von Männern nicht angeflirtet zu werden, dass sie befand, Männer benötigten nicht nur Ermutigung, sondern vielleicht sogar ein Eingreifen der Regierung, um endlich etwas forscher zu sein. [10] Zieht eine Frau aber von Großbritannien nach Deutschland, erhält sie einen Kulturschock der Art, dass die Männer hierzulande sogar noch zurückhaltender sind. Das schildert die Britin Madhvi Ramani:

„Ich komme aus London, lebe aber schon seit sieben Jahren in Berlin. In Großbritannien sind Kerle sehr offensiv. Deutsche hingegen würden es sich nie erlauben, dich in einer Bar oder einem Club anzusprechen, oder – Gott bewahre – gar auf der Straße. Es gibt nur diese eine kleine Sache, die deutsche Männer machen. Sie ist so dezent, dass ich sie viele Jahre gar nicht bemerkt habe.

Achtung: Deutsche Männer schauen dich an. Das ist schon alles. Sie schauen. Aus den Blicken muss frau dann erraten, ob sich ein Flirt entwickeln kann.

Ich glaube, die deutsche Regierung wäre gut beraten, in Tinder zu investieren. Die Dating-App scheint mir die einzige Rettung zu sein (…). Auf jeden Fall komme ich in Berlin fast nur noch mit Tinder voran.“ [11]

Der Diskurs über sexuelle Belästigung offenbart sich hier als Teil eines generellen Diskurses über das angeblich mangelhafte Wesen Mann: entweder zu forsch oder nicht forsch genug, auf jeden Fall unzureichend. Während diese Vorwurfskultur blüht, kann die ganz reale Furcht davor, den Körper einer fremden Frau zu berühren, sogar tödliche Folgen haben. Zu diesem Ergebnis gelangte eine Studie, die im Herbst 2017 ausgerechnet zum Höhepunkt der Belästigungs-Hysterie öffentlich gemacht wurde. Ihr zufolge sterben Frauen, die in der Öffentlichkeit einen Herzstillstand erleiden, deutlich häufiger als Männer. Der Grund: Um einer solchen Frau zu helfen, müsste man eine Herzdruckmassage durchführen. Davor aber schrecken etliche Männer inzwischen zurück, weil sie nicht als Grapscher dastehen möchten. [12]

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[1] Vgl. Ryan, Patrick: Jodie Foster: ‚Every man over 30 has to start thinking about their part‘ in sexual misconduct. In: USA Today vom 20.12.2017, online unter https://www.usatoday.com/story/life/movies/2017/12/20/jodie-foster-every-man-over-30-has-start-thinking-their-part-sexual-misconduct/970017001.

[2] Vgl. Hollstein, Walter: In Vergessenheit geraten. In: Basler Zeitung vom 10.11.2017, online unter https://bazonline.ch/leben/gesellschaft/in-vergessenheit-geraten/story/14989308.

[3] Vgl. Krause-Burger, Sibylle: Schuldig, schuldig, schuldig. In: Stuttgarter Zeitung vom 6.11.2017. Online unter http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kolumne-von-sibylle-krause-burger-schuldig-schuldig-schuldig.d0cfb134-6b8c-4d83-a455-a4a9b78d7eaf.html.

[4] Vgl. Kurianowicz, Tomasz: Der verunsicherte Mann. In: Die Zeit vom 25.10.2017, online unter http://www.zeit.de/kultur/2017-10/sexismus-maenner-feminismus-empathie.

[5] Vgl. Sichtermann, Barbara: „Verunsicherte Männer sind in einem guten Zustand“. In: Tagesspiegel vom 13.11.2017, online unter http://www.tagesspiegel.de/medien/tv-talk-anne-will-zur-sexismus-debatte-verunsicherte-maenner-sind-in-einem-guten-zustand/20573920.html, und natürlich den unsäglichen Anne-Will-Talk vom Vortag selbst.

[6] Vgl. Gutsch, Jochen-Martin: Männer. In: Spiegel Nr. 44/2017, S. 54-55.

[7] Vgl. Seager, Martin und Barry, John: Cognitive Distortion in Thinking About Gender Issues: Gamma Bias and and the Gender Distortion Matrix. In: Barry, John und andere (Hrsg.): The Palgrave Handbook of Male Psychology and Mental Health. Palgrave Machmillan 2019, S. 87-105, hier S. 91.

[8] Vgl. Soh, Debra: We Can’t Let a Sex Scandal Give Sexuality a Bad Name. In: Playboy vom 19.10.2017, online unter http://www.playboy.com/articles/sex-scandal-male-sexuality.

[9] Vgl. Walsh, Debra und Hewitt, Joe: Giving men the come-on: Effect of eye contact and smiling in a bar environment. In: Perceptual and Motor Skills, 61/1985, S. 873-874.

[10] Vgl. Gill, Charlotte: Lads! Britain needs you to do your duty and get flirting. In: Telegraph vom 24.8.2016, online unter http://www.telegraph.co.uk/news/2016/08/24/lads-britain-needs-you-to-do-your-duty-and-get-flirting.

[11] Vgl. Ramani, Madhvi: Welchen Tinder-Typen du in Berlin begegnest. Online seit dem 4.10.2016 unter http://www.bento.de/gefuehle/tinder-diesen-typen-begegnest-du-in-berlin-898647.

[12] Vgl. Blewer, Audrey und andere: Präsentation 17. American Heart Association Scientific Sessions, 11. bis -15. November 2017, Anaheim. Die Studie steht nicht online und wurde zitiert nach zahlreichen Artikeln, darunter Uhlmann, Berit: Frauen werden seltener wiederbelebt. In: Süddeutsche Zeitung vom 14.11.2017, online unter http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/kreislaufstillstand-frauen-werden-seltener-wiederbelebt-1.3747220.