Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Trümmerfrauen müssen wieder aufbauen, was Männer kaputt gemacht haben.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

Als die SPD Andrea Nahles zur Parteivorsitzenden wählte, wurden Nahles und ihre Genossinnen in den Medien bis hin zur Tagesschau [1] gerne als „Trümmerfrauen der SPD“ bezeichnet. [2] „Es ist schon bemerkenswert“, fabulierte etwa Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, „dass dann, wenn alles in Scherben liegt, Frauen ranmüssen, um die Trümmer zusammenzukehren und zu kitten – als Trümmerfrauen; damals bei der CDU, jetzt bei der SPD.“ [3] Mit dieser Rhetorik werden Frauen, die an die Macht kommen, nicht mehr gefeiert, sondern bedauert. Auf Spiegel-Online klagte Silke Burmester Jahre zuvor im selben Tonfall: „Das kennen wir doch: Männer zerlegen ein Land, Frauen räumen es wieder auf.“ [4] Das sexistische Klischee vom Mann als Zerstörer und der Frau als Heilerin ist so schwer auszurotten, dass es einen Mythos aufrechterhält, der selbst schon in Trümmern liegt.

Tatsächlich ist das „Bild der Trümmerfrauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit bloßen Händen aufräumten, den Schutt wegschafften, selbstlos, optimistisch und fröhlich“ [5] eine Legende der Nachkriegszeit. Frauen räumten nur einen Bruchteil der Trümmer beiseite: Den Großteil erledigten Männer. Das ermittelte die Historikerin Leonie Treber in ihrer Dissertation, die sie an der Universität Duisburg-Essen ablegte und die 2014 mit dem begehrten Nachwuchspreis der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung ausgezeichnet wurde. „Das Räumen der im Luftkrieg anwachsenden Trümmermassen begann schon im Krieg“, berichtet Treber. „Verpflichtet wurden vor allem Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Aber auch Bauhandwerker und Wehrmachtsangehörige waren im Einsatz.“ Nach dem Krieg wurden zur Sühne ehemalige Parteimitglieder und deutsche Kriegsgefangene eingezogen. Dies waren in der Regel Männer: Denn in der amerikanischen und französischen Besatzungszone war man strikt dagegen, Frauen in die Trümmerräumung einzubinden. In der englischen Zone griff man nur auf eine geringe Zahl von arbeitslosen Frauen zurück. Anders war es in der sowjetisch besetzten Zone: Hier wurden relativ viele Frauen eingesetzt. Und genau hier entstand auch der Mythos um die Trümmerfrauen: durch eine regelrechte Medienkampagne in Tageszeitungen und Frauenzeitschriften. Viele Fotos waren gestellt, die Frauen teils geschminkt und die Arbeitskleidung vorteilhaft.

„Die Trümmerfrau wurde schnell und dauerhaft zu einem Vorbild für die Gleichberechtigung und den Aufbau des Sozialismus“ berichtet Treber. Zu einer Ikone des Wiederaufbaus avancierte sie im Westen erst in den achtziger Jahren parallel zur aufkommenden Frauengeschichtsschreibung erklärt Treber: „Hier erweiterte sich der Begriff auch radikal. Er bezeichnete fortan die gesamte Generation all jener Frauen, die die Nachkriegszeit als Erwachsene erlebt hatten. Und diese Frauen wurden nun zu den Grundsteinlegerinnen des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders erklärt.“ [6]

Ein Nebeneffekt dieser Propaganda bestand darin, Frauen als ebenso leistungsstark wie unschuldig zu präsentieren. Auch diese Propaganda widerlegt Treber: „Natürlich waren auch Frauen Teil des Systems gewesen und in unterschiedlicher Weise verstrickt, sei es jetzt, dass sie auch Mitläuferinnen waren, dass Frauen auch Täterinnen waren, und dass eben auch Frauen in irgendeiner Weise im Nationalsozialismus gelebt und gewirkt haben.“ Es waren gerade solchermaßen belastete Frauen, die gezwungen wurden, Schutt zu schaufeln. [7]

Deutsche Journalisten sollten sich also vielleicht doch noch einmal überlegen, ob es wirklich eine so gute Idee ist, Andrea Nahles und ihre Genossinnen als „Trümmerfrauen der SPD“ zu bezeichnen – zumal sich der Erfolg ihrer Aufbauarbeit bislang in Grenzen hält. Frauen als bessere Menschen zu phantasieren führt auch im historischen Rückblick in die Irre.

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[1] Vgl. Brand, Katrin: Ein Jahr Trümmerfrau. Online seit dem 22.4.2019 unter https://www.tagesschau.de/inland/ein-jahr-nahles-101.html.

[2] Vgl. als weitere Beispiele etwa N.N.: Trümmerfrau der SPD: Das sind die fünf großen Herausforderungen für Andrea Nahles, online seit dem 12.2.2018 unter https://www.focus.de/politik/deutschland/sozialdemokraten-unter-druck-truemmerfrau-der-spd-das-sind-die-fuenf-grossen-herausforderungen-fuer-andrea-nahles_id_8452594.html sowie N.N.: Andrea Nahles: „Trümmerfrau“ der SPD, online seit dem 22.4.2018 unter https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/afxline/topthemen/hintergruende/article175694195/Andrea-Nahles-Truemmerfrau-der-SPD.html.

[3] Vgl. Prantl, Heribert: Andrea Nahles, die Trümmerfrau der SPD. In: Süddeutsche Zeitung vom 12.2.2018, online unter https://www.sueddeutsche.de/politik/spd-andrea-nahles-herkulesaufgabe-1.3862726.

[4] Vgl. Burmester, Silke: Gehen Sie in die Politik, meine Damen! Online seit dem 15.1.2012 unter http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/s-p-o-n-helden-der-gegenwart-gehen-sie-in-die-politik-meine-damen-a-809013.html.

[5] Vgl. Lueg, Andrea: Wer Deutschland wirklich vom Schutt befreite. Online seit dem 9.2.2015 unter https://www.deutschlandfunk.de/truemmerfrauen-studie-wer-deutschland-wirklich-vom-schutt.1310.de.html?dram:article_id=311180.

[6] Vgl. Kostka, Beate: Mythos Trümmerfrau: Den Kriegsschutt räumten andere weg. Online seit dem 30.10.2014 unter https://idw-online.de/de/news610756 sowie Lueg, Andrea: Wer Deutschland wirklich vom Schutt befreite. Online seit dem 9.2.2015 unter https://www.deutschlandfunk.de/truemmerfrauen-studie-wer-deutschland-wirklich-vom-schutt.1310.de.html?dram:article_id=311180.

[7] Vgl. Lueg, Andrea: Wer Deutschland wirklich vom Schutt befreite. Online seit dem 9.2.2015 unter https://www.deutschlandfunk.de/truemmerfrauen-studie-wer-deutschland-wirklich-vom-schutt.1310.de.html?dram:article_id=311180.