Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Wenn Frauen ’nein‘ sagen, meinen sie immer auch ’nein‘.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

„Ich habe tatsächlich schon von Jugend an ziemlich stur ein Nein ganz wörtlich als Nein interpretiert“, berichtet der Blogger und Gymnasiallehrer Lucas Schoppe. „Als sechzehnjähriger Schüler hatte ich einer gleichaltrigen Freundin hoffnungsvoll meine Verliebtheit gestanden und war damit aufgelaufen. Eine Weile später sagte mir ein gemeinsamer Freund, sie habe ihn sehr verwundert gefragt, warum ich mich denn nicht weiter und stärker um sie bemüht hätte, sie wäre doch eigentlich gern mit mir zusammen gewesen. Jahre später erzählte eine Partnerin mir, sie hätte sich bei mir erst einmal daran gewöhnen müssen, dass ich weitere Bemühungen einstelle, wenn sie einmal Nein gesagt hätte. Es wäre für sie gar nicht einfach gewesen zu lernen, dann ihren Stolz herunterzuschlucken, sich ihrerseits anzunähern und von sich aus ihr Nein zurückzunehmen.“ [1]

Mit diesen Erfahrungen spiegelt Schoppe die Erfahrungen Holden Caulfields, dem Helden in Salingers „Fänger im Roggen“, mit dem sich eine ganze Generation identifizieren konnte. Caulfield führte seine Jungfräulichkeit darauf zurück: „Das Problem mit mir ist, wenn Mädchen sagen, ich soll aufhören, höre ich auf.“ [2]

Nun ist „Nein heißt nein“ eine der bekanntesten Parolen der feministischen Bewegung, um sexuelle Übergriffe zu unterbinden: Nein hieße immer und ausnahmslos Nein, und es sei ein Zeichen für entweder die Beschränktheit oder die Bösartigkeit von Männern, etwas derart Einfaches nicht begreifen zu wollen. Wer hier widerspricht, wird schnell als gewissenloser Triebtäter hingestellt. Die Bloggerin Anne Nühm jedoch tut genau das: „Entgegen den feministischen Behauptungen, Nein hieße immer und ausnahmslos Nein, ist ein Nein tatsächlich kontextabhängig, und eine Überlagerung verschiedener Werte, die alle gleichzeitig zutreffen können, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung.“ Dabei zählt Anne Nühm auch Fälle auf, bei denen das Nein keineswegs so absolut ist, wie es scheint:

„Eigentlich mag ich nicht unbedingt. Aber das kann sich ändern.“

„Vielleicht. Als Dame sage ich das aber nicht direkter.“

„Zeige mir deine Ernsthaftigkeit, indem du hartnäckig bleibst.“

„‚Tut mir leid, aber im Moment geht es leider nicht. Probier’s ein andermal.“

„Beweis‘ erst mal, dass du dich nicht so leicht abwimmeln und entmutigen lässt.“

„Gerade eben habe ich nicht so recht Lust. Bemühe dich ein wenig um mich.“

„Stell‘ mir nicht solche bescheuerten Fragen. Da lehne ich grundsätzlich ab.“

„Wenn ich mich ziere, werde ich noch begehrenswerter.“

„‚Vielleicht. Ich warte noch ab, wie du auf das Nein reagierst.“

„Mir geht’s gerade nicht so gut. Ein wenig Zuwendung könnte mich entspannen.“

„Ich sage beim ersten Versuch immer nein, um nur beharrliche und durchsetzungsstarke Männer zu selektieren.“ [3]

Nun sind über Blogs verbreitete Erfahrungsberichte, ob von männlicher oder von weiblicher Seite, nur bedingt aussagekräftig. Auch hier muss man sich fragen: Welche konkreten Erkenntnisse legt uns die wissenschaftliche Forschung vor?

Ursula Nuber, Diplompsychologin und ehemalige Chefredakteurin des Magazins Psychologie heute, und der Maskulist Warren Farrell berichten beide von einer Studie der Universität Texas, bei der immerhin 39,9 Prozent der befragten Frauen zugaben, schon einmal „nein“ gesagt und „ja“ gemeint zu haben. „Von diesen fast 40 Prozent wendeten 32 Prozent den Trick nur einmal an“, schreibt Ursula Nuber, „45 Prozent berichteten von mehreren Malen, und für den Rest scheint das Vorspielen von Ablehnung zum Repertoire zu gehören.“ [4]

Diese Zahlen wurden inzwischen durch andere Studien und Befragungen bestätigt, [5] wenn auch mit gewissen Schwankungen. Die oben bereits erwähnte feministische Forscherin Charlene Muehlenhard ermittelte bei einer Umfrage unter sexuell aktiven Studentinnen sogar, dass 60 Prozent gelegentlich „nein“ sagten, wenn sie durchaus beabsichtigten, Sex zu haben.  Nahezu alle sagten „nein“, wenn sie sich nicht sicher waren. [6]

Nun wird ein Mann, dem einmal oder mehrfach vorgetäuschter Widerstand begegnet ist, echten Widerstand nicht so leicht als solchen erkennen. Charlene Muehlenhard und andere Feministinnen bestehen darauf, dass Männer, die ein Nein übergehen, bestraft werden sollten, auch wenn die Mehrzahl aller Frauen „nein“ sagt, ohne es zu meinen. „Dieses Argument“, wendet die Publizistin Cathy Young sarkastisch ein, „spricht Bände über ihren Glauben, dass nur Männer für sexuelle Fehlkommunikation verantwortlich gemacht werden sollten.“ [7]

Tatsächlich sind wenigstens die feministischen Befürchtungen unbegründet. Zwar stellte sich in anderen Umfragen heraus, dass 60 Prozent aller jungen Männer in der Hitze der Leidenschaft nicht sofort mit ihrem Drängen nachlassen würden, nur weil sie ein Nein hörten – womöglich aufgrund von Erfahrungen mit nicht ernst gemeintem Widerstand. Doch die überwältigende Mehrheit bekundete, sie würden aufhören, wenn die Frau mehr als einmal „nein“ sagte (ob diese Ablehnung echt war oder nicht), und praktisch der gesamte Rest würde sich durch körperlichen Widerstand von ihrem Tun abbringen lassen. [8] Die Journalistin Kate Fillion betont, wie wichtig es für Frauen ist, eindeutig klar zu machen, was sie eigentlich wollen. Da unerwünschtem Sex in aller Regel eine Phase einvernehmlichen Austauschs von Zärtlichkeiten vorausgehe und oft auch Alkohol dabei eine Rolle spiele, mangele es oft an dieser Eindeutigkeit. Fillion gibt unter Bezugnahme auf verschiedene Untersuchungen den folgenden Rat: „Die beste Methode, einen Mann dazu zu bringen aufzuhören, noch bevor er überhaupt angefangen hat, ist, von Anfang an sehr direkt zu sein: Ich werde heute Nacht mit dir keinen Sex haben. Und die erfolgreichste Reaktion, wenn er dann doch versucht, die von dir gezogenen Grenzen ein wenig zu erweitern, solange er nicht gewalttätig wird, ist, jegliche sexuelle Aktivität abzubrechen und klar und unmissverständlich dein mangelndes Einverständnis zu erklären. Wenn er hartnäckig bleibt, ist das Vernünftigste, so weit weg von ihm zu kommen, wie es nur geht, während du laut und deutlich ’nein‘ sagst und um Hilfe rufst, falls er unbeeindruckt erscheint. Wenn er ’nein‘ als Antwort nicht akzeptiert und zu körperlicher Gewalt und Einschüchterung greift, gibt es keinen Grund, sich etwas vorzumachen: Er ist ein Vergewaltiger.“ [9]

Auch die wissenschaftliche Forschung ermittelte mehrere Gründe, weshalb Frauen „nein“ sagten, obwohl sie „ja“ oder „vielleicht“ meinten. Diese Gründe sind von denen, die die Bloggerin Anne Nühm aus eigener Perspektive erstellte, nicht weit entfernt:

• Sie waren sich nicht ganz sicher, zum Beispiel weil die Art der Beziehung zu dem Mann noch nicht geklärt war, sie sich über seine Gefühle im Unklaren waren oder die Umgebung dem Anlass nicht angemessen empfanden. [10]

• Sie wollten nicht als promisk eingeschätzt werden und glaubten, wenn sie sich ohne jeden Widerstand hingaben, würden sie nicht wie eine Dame wirken. Diese Einstellung war auch bei sexuell befreiten, weniger traditionell denkenden Frauen anzutreffen. Diese glaubten nämlich, ihre Partner würden auf die Doppelmoral hereinfallen, der zufolge sexuell aktive Männer „Hengste“ und sexuell aktive Frauen „Schlampen“ seien. Tatsächlich gab es diese doppelte Moral schon vor Jahrzehnten genauso selten bei den Männern wie bei den Frauen, und Sex mit einem flüchtigen Partner wird bei beiden Geschlechtern voll akzeptiert. [11]

• Sie hatten religiöse oder moralische Bedenken, Ängste oder Hemmungen vor dem Geschlechtsverkehr oder waren sich unsicher über die Attraktivität ihres eigenen Körpers. [12]

• Sie wollten das Begehren des Mannes ein bisschen anstacheln, indem sie die Trauben etwas höher hängten, ihn aggressiver machen, damit er sie entweder so überwältigte wie der dominante Held in so mancher Schmonzette oder besonders verführerisch auftrat. Schon die Erotik-Expertin Nancy Friday wies darauf hin, „dass dieses Überwältigtwerden die Standardentschuldigung für das ‚brave Mädchen‘ ist, das für ihre sexuellen Eskapaden nicht die Verantwortung übernehmen will“. Ein spielerisches Nein bedeutete im Klartext oft „Wollen doch mal sehen, ob du mich herumkriegen kannst!“ [13]

• Sie wollten sichergehen, die Situation unter Kontrolle zu haben, und den Mann vielleicht auch etwas nach Zuneigung betteln lassen. [14]

• Sie waren in irgendeiner Weise über ihren Partner verärgert und wollten sich ein wenig rächen. [15]

Es gibt übrigens auch viele Männer, die Nein sagen, obwohl sie in Wahrheit durchaus erregt sind – etwa um nicht so zu erscheinen, als ob sie nur an Sex interessiert seien, weil sie aus Sorge um die Beziehung das Tempo ein wenig drosseln möchten oder um etwas Würze und Herausforderung in die Partnerschaft zu bringen. [16] Einer Studie zufolge wenden zumindest in den USA Männer diese Taktik sogar häufiger als Frauen an. [17] Wenn man auf Nummer sicher gehen möchte, seinen Partner nicht zu traumatisieren und Schuld auf sich zu nehmen, sollte man natürlich jedes Nein akzeptieren. Es führt allerdings in die Irre, allein das Wort Nein außerhalb jedes Kontextes und unabhängig von Körpersprache, Tonfall und dem übrigen Verhalten eines Menschen zu bewerten. Gerade im Intimbereich bleibt vieles unausgesprochen, und sexuelle Situationen sind oft mehrdeutig und unklar.

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[1] Vgl. Schoppe, Lucas: Ja: Nein heißt Nein. Online seit dem 7.11.2018, online unter https://man-tau.com/2018/11/07/nein-heisst-nein.

[2] Vgl. Salinger, J.D: Der Fänger im Roggen/The Catcher in the Rye, Kapitel 13.

[3] Vgl. Nühm, Anne: Nein heißt <undefined>. Online seit dem 15.10.2017 unter

[4] Vgl. Farrell, Warren: Mythos Männermacht. Frankfurt am Main 1995, S. 375 sowie Nuber, Ursula: Intime Fragen. Die amerikanische Sexualforschung. In: Nuber, Ursula: Frauen und Sexualität. Weinheim/Basel 1991, S. 125-134, hier S. 131-132. Vgl. zur angeführten Studie Muehlenhard, Charlene und Hollabaugh, Lisa: Do women sometimes say no when they mean yes? The prevalence and correlates of women´s token resistance to sex. Journal of personality and social psychology Volume 54, Issue 5/1988, S. 872-879, online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/3379584.

[5] Fillion, Kate: Lip Service: The Truth About Women’s Darker Side in Love, Sex and Friendship. New York 1996, S. 256.

[6] Vgl. Young, Cathy: Ceasefire! Why Women and Men Must Join Forces to Achieve True Equality. New York 1999, S. 143-144.

[7] Vgl. Young, Cathy: Ceasefire! Why Women and Men Must Join Forces to Achieve True Equality. New York 1999, S. 143-144.

[8] Vgl. Young, Cathy: Ceasefire! Why Women and Men Must Join Forces to Achieve True Equality. New York 1999, S. 144.

[9] Fillion, Kate: Lip Service: The Truth About Women’s Darker Side in Love, Sex and Friendship. New York 1996, S. 222.

[10] Vgl. Nuber, Ursula: Intime Fragen. Die amerikanische Sexualforschung. In: Nuber, Ursula: Frauen und Sexualität. Weinheim/Basel 1991, S. 125-134, hier S. 132.

[11] Vgl. Nuber, Ursula: Intime Fragen. Die amerikanische Sexualforschung. In: Nuber, Ursula: Frauen und Sexualität. Weinheim/Basel 1991, S. 125-134, hier S. 132; Fillion, Kate: Lip Service: The Truth About Women’s Darker Side in Love, Sex and Friendship. New York 1996, S. 256 sowie Thomas, David: Auch Männer wollen aufrecht gehen, oder Warum es heute so schwierig ist, ein Mann zu sein. Bergisch Gladbach 1993, S. 275.

[12] Nuber, Ursula: Intime Fragen. Die amerikanische Sexualforschung. In: Nuber, Ursula: Frauen und Sexualität. Weinheim/Basel 1991, S. 125-134, hier S. 132.

[13] Vgl. Batten, Mary: Natürlich Damenwahl. Die Paarungsstrategien in der Natur. München 1994, S. 331; Nuber, Ursula: Intime Fragen. Die amerikanische Sexualforschung. In: Nuber, Ursula: Frauen und Sexualität. Weinheim/Basel 1991, S. 125-134, hier S. 132; sowie Thomas, David: Auch Männer wollen aufrecht gehen, oder Warum es heute so schwierig ist, ein Mann zu sein. Bergisch Gladbach 1993, S. 281-282.

[14] Nuber, Ursula: Intime Fragen. Die amerikanische Sexualforschung. In: Nuber, Ursula: Frauen und Sexualität. Weinheim/Basel 1991, S. 125-134, hier S. 132 sowie Thomas, David: Auch Männer wollen aufrecht gehen, oder Warum es heute so schwierig ist, ein Mann zu sein. Bergisch Gladbach 1993, S. 274.

[15] Nuber, Ursula: Intime Fragen. Die amerikanische Sexualforschung. In: Nuber, Ursula: Frauen und Sexualität. Weinheim/Basel 1991, S. 125-134, hier S. 132.

[16] Young, Cathy: Ceasefire! Why Women and Men Must Join Forces to Achieve True Equality. New York 1999, S. 144.

[17] Vgl. Sprecher, Susan und andere: Token resistance to sexual intercourse and consent to unwanted sexual intercourse: College students’ dating experiences in three countries. In: The Journal of Sex Research, Volume 31, 2/1994, S. 125-132, online unter https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00224499409551739.