Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Armut ist weiblich.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

Der Slogan „Armut ist weiblich“ wird wegen seiner Griffigkeit von Feministinnen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen verwendet. Beispielsweise scheint eine entsprechende These durch eine Armutsstudie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gestützt zu werden, in der Männer im Durchschnitt als reicher gerechnet werden als Frauen. Zu diesem Ergebnis gelangt man aber nur, wenn man von einer verzerrenden Grundlage ausgeht, wie die geschlechterpolitische Initiative MANNdat aufdeckte:

„Geschiedene Männer, insbesondere Väter, werden durch ein gezielt eingebautes Artefakt reich gerechnet und fallen damit viel seltener unter die Armutsgrenze, als es bei einer korrekten Berücksichtigung der Zahlungsströme der Fall wäre. Es wird so getan, als könne der Unterhaltleistende, d.h. mehrheitlich der Mann, weiterhin über das Geld verfügen, das er bereits als Unterhalt abgeführt hat. Bei einer solchen Betrachtungsweise erscheinen natürlich Männer ‚reicher‘ als Frauen. Tatsächlich verhält es sich genau umgekehrt. Die aufgrund verzerrter Einkommen errechneten Armutsquoten von Männern und Frauen sind in etwa gleich. Bei Zugrundelegung der realistischen Einkommen muss die Armutsquote der Männer also die höhere sein.“ [1]

Ähnlich fragwürdig wie die OECD arbeitete das Bundesfrauenministerium in einer eigenen Studie und verkündete ungerührt:

„Lässt man in den vorherigen Einkommensvergleichen … die Unterhaltszahlungen außer Acht, steht den Männern im Durchschnitt ein sehr viel höheres bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen zur Verfügung …“ [2]

Aber natürlich verfälscht man eine Statistik, wenn man erhebliche Einflussgrößen außer Acht lässt, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.

Der OECD immerhin ist anzurechnen, dass man dort allmählich einen realistischeren Blick entwickelt. So warnte der OECD-Generalsekretär José Ángel Gurría am 23.5.2014 vor einer Altersarmut der Männer:

„Ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer droht langfristig wirtschaftlich abgehängt zu werden und wir befürchten, dass Deutschland deshalb in den kommenden Jahren ein erhebliches Problem mit Altersarmut bekommen wird. (…) Auf dem Höhepunkt der Krise konnten wir es uns nicht leisten, die wachsende Ungleichheit zu kritisieren; damals stand das Haus in Flammen, es gab also drängendere Probleme. Jetzt, da wir das Feuer ausgetreten oder zumindest unter Kontrolle gebracht haben, müssen wir uns um die Opfer kümmern. Und das sind in der Regel die Ärmsten der Gesellschaft und in vielen Volkswirtschaften vor allem junge Männer mit schlechter Ausbildung.“ [3]

Aber Armut trifft nicht nur junge Männer, sondern auch männliche Senioren besonders stark. Nachdem Politiker, Medien und Sozialverbände vor einer „Lawine weiblicher Altersarmut“ gewarnt hatten, unterzog Spiegel-Online diese Behauptung einem Faktencheck – und zeigte sich durch dessen Resultat verblüfft:

„Das Ergebnis ist angesichts des zitierten Medientenors schon ein wenig überraschend: Denn bei den Männern fielen die Steigerungsraten seit Einführung der Grundsicherung 2003 deutlich höher aus als bei den Frauen. Einem Zuwachs von 139 Prozent bei den Männern (von 174.057 auf 415.568) steht ein Anstieg von ‚lediglich‘ 82,9 Prozent bei den Frauen (von 264.774 auf 484.278) gegenüber. Und konzentrieren wir uns auf die Altersrentner (ab 65 Jahre), dann kletterte im Untersuchungszeitraum die Anzahl der altersarmen Männer um 129 Prozent nach oben – die der Frauen dagegen ’nur‘ um 61 Prozent. (…) Das von Politik, Sozialverbänden und Medien dieser Tage beinahe einträchtig vorgetragene Argument, die stark ansteigende Zahl der von Altersarmut Betroffenen sei vor allem dem Anstieg der Altersarmut bei den Frauen geschuldet, stimmt den Zahlen nach so nicht. Die statistisch ausgewiesene Zunahme von Altersarmut ist bei den Männern stärker ausgeprägt als bei den Frauen, was auf eine Verschlechterung männlicher Erwerbsbiografien schließen lässt.“

Angesichts dieser Erkenntnisse warnten die Faktenchecker von Spiegel-Online vor einem „Gender-Bias in umgekehrter Richtung“ und befanden: „Die stark anwachsende Zahl von Altersarmut betroffener Männer darf nicht weniger Sorge bereiten als die Entwicklung bei den Frauen.“ [4] Diese Warnung ist begründet: Ende des nächsten Jahrzehnts dürften eine Million Rentner auf Grundsicherung angewiesen sein – sechs Prozent der Männer und 4,4 Prozent der Frauen. [5]

Dabei ist extreme Armut keineswegs aufs Alter beschränkt. Beispielsweise bekommen laut einer Analyse des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus dem Jahr 2014 mehr als 230.000 Menschen ohne Job weder Arbeitslosengeld I noch II, obwohl sie von der Arbeitslosenversicherung betreut werden. Betroffen waren demnach 119.000 Männer und 116.000 Frauen. Hier habe sich die Situation in den vergangenen Jahren umgekehrt, heißt es in der Studie: Noch 2007 seien zwei Drittel der Betroffenen Frauen gewesen. [6]

Mit „Arm, männlich, jung – sucht eine Wohnung“ betitelte der Stern einen Artikel über diejenigen, die es am schlimmsten haben: die Obdachlosen. Bei den meisten Betroffenen handelt es sich der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zufolge um alleinstehende Männer. [7] Auf der untersten Ebene der sozialen Verelendung, bei den Obdachlosen, beträgt der Männeranteil zwischen achtzig und neunzig Prozent. [8] Obwohl dieses Ungleichgewicht massiv ist, wird es von Politik und Medien nicht mal zu einem Promille so intensiv diskutiert wie die Einführung einer Frauenquote für das obere Management. In Büchern, die sich mit der Ausgrenzung und Stigmatisierung von Obdachlosen beschäftigen, findet man dementsprechend klare Worte gegen den hier herrschenden Sexismus:

„Leider ist die Gender-Diskussion zu sehr auf die Dominanz von ganz bestimmten Männergruppen zugeschnitten (sagen wir mal, die privilegierten und bessergestellten) und mit der Abwertung einer ganz spezifischen Lebens- und Berufsbiografie verbunden. Prekäre männliche Lebenswelten, die inzwischen, auch auf dem Hintergrund der Massenarbeitslosigkeit und sozialen Unsicherheiten, mehr und mehr zunehmen, sind bislang nur randständig thematisiert. (…) In einer Zeit, wo maskuline Stärke eher als Schwäche definiert wird und schon der vermeintlich aufgeklärte neue Mann seine Rollenunsicherheit zwischen Beruf, Familie, Partnerschaft nicht verbergen kann, stellt sich die Frage, wie es tief im Inneren eines gefallenen, familien- und frauenlosen Mannes aussehen muss?“ [9]

Auch die akademische Geschlechterforschung interessiert sich kein bisschen für die Frage, warum hier gerade Männer betroffen sind – würde eine Beschäftigung mit diesem Thema die Ideologie, es gebe eine herrschende Männlichkeit und nur ein leidendes Opfergeschlecht, doch mit einem allzu starken Zwang zur Differenzierung bedrängen:

„Obwohl Männer traditionell den größten Anteil unter den Wohnungslosen stellten und noch immer stellen, wurde der Kategorie ‚männliches Geschlecht‘ bisher kaum Beachtung geschenkt; es gibt nur wenige Studien hierzu. Bislang existiert kein entwickelter Diskurs. Man kann sogar von einer geschlechterblinden Männerforschung sprechen.“ [10]

Wären achtzig bis neunzig Prozent der Obdachlosen weiblich, wäre das in unserer Gesellschaft ein heiß diskutiertes Problem. Da es sich vor allem um Männer handelt, schaut man weitgehend darüber hinweg.

Bei seiner aufwändigen Suche nach wissenschaftlichem Material, das ergründete, warum das Schicksal der Obdachlosigkeit vor allem Männer trifft, stieß der Bildungsforscher Michael Klein auf einen einzigen Text, der sich überhaupt mit dieser Frage beschäftigte: eine im Jahr 2000 erschienene Dissertation des kirchlichen Mitarbeiters Karl Griese, der anhand der Befragung von 20 männlichen Insassen eines Obdachlosenasyls deren Weg in die Obdachlosigkeit ermittelte und erkannte, dass in fast jedem der Fälle die Obdachlosigkeit am Ende von Beziehungsproblemen, Scheidungen und den damit einhergehenden finanziellen Unterhaltsverpflichtungen sowie von Alkoholproblemen stand. [11]

„Männer sind also nicht a priori Täter und Frauen Opfer“ stellt Ruth Köppen in ihrem Buch „Armut und Sexismus“ klar. Dies werde am Beispiel der nichtsesshaften Männer mit enormen Unterhaltsschulden deutlich. [12] Diese Gruppe hat allerdings keine politische Lobby hinter sich stehen: „Obwohl 90 Prozent aller Nichtsesshaften Männer waren und die Geschlechtsbedingtheit dieser Problematik direkt ins Auge sprang, wurde von Sozialwissenschaftlern keine männerspezifische Ursachenforschung betrieben.“ [13]

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[1] Vgl. die Analyse „Die OECD, die Armut und das Frauenministerium“, veröffentlicht unter https://manndat.de/wp-content/uploads/2009/02/stellungnahme_zu_oecd-studie.pdf.

[2] Ebenda.

[3] Vgl. Kaiser, Tobias: „Deutschland bekommt ein Problem mit Altersarmut“. Veröffentlicht am 23.5.2014 in der WELT, online unter https://www.welt.de/wirtschaft/article128319368/Deutschland-bekommt-ein-Problem-mit-Altersarmut.html.

[4] Vgl. Janssen, Hauke: Münchhausen-Check: „Weiblich, alt, arm“. Online seit dem 25.10.2013 unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/muenchhausen-check-gibt-es-die-weibliche-altersarmut-wirklich-a-929980.html.

[5] Vgl. Mulke, Wolfgang: Rentenversicherung: Angst vor Altersarmut oft unbegründet. In: Westfalenpost vom 5.7.2018, online unter https://www.wp.de/wirtschaft/rentenversicherung-angst-vor-altersarmut-oft-unbegruendet-id214769369.html.

[6] Vgl. N.N.: Hunderttausende Arbeitslose gehen leer aus. Online veröffentlicht am 14.7.2014 unter http://www.n-tv.de/politik/Hunderttausende-Arbeitslose-gehen-leer-aus-article13209546.html.

[7] Vgl. N.N.: Arm, männlich, jung – sucht eine Wohnung. Online veröffentlicht am 1.8.2013 unter http://www.stern.de/panorama/wohnungsnot-steigt-dramatisch-arm-maennlich-jung-sucht-eine-wohnung-2046087.html

[8] Vgl. Malyssek, Jürgen und Störch, Klaus: Wohnungslose Menschen. Ausgrenzung und Stigmatisierung. Lambertus 2009, S. 17.

[9] Vgl. Malyssek, Jürgen und Störch, Klaus: Wohnungslose Menschen. Ausgrenzung und Stigmatisierung. Lambertus 2009, S. 122-123.

[10] Vgl. Lutz, Ronald und Simon, Titus: Lehrbuch der Wohnungslosenhilfe. 2., überarbeitete Auflage. Beltz Juventa 2012, S. 159. Das Kapitel, in dem sich die zitierte Passage findet (Geschlechtersensibilität im Hilfesystem: Hilfen für wohnungslose Frauen), beschäftigt sich allerdings selbst fast durchgehend mit der Situation des weiblichen Geschlechts.

[11] Vgl. Klein, Michael: Obdachlosigkeit – ein männliches Schicksal, online seit dem 17.9.2012 unter http://cuncti.net/haltbar/272-obdachlosigkeit-ein-maennliches-schicksal, sowie Griese, Karl: Obdachlosenasyl. Beobachtungen in einem Wohnheim für obdachlose Männer. Köster 2000.

[12] Vgl. Köppen, Ruth: Armut und Sexismus. Berlin 1994, S. 9.

[13] Vgl. Köppen, Ruth: Armut und Sexismus. Berlin 1994, S. 273.