Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Frauen entwickeln Essstörungen, weil Männer so scharf auf schlanke Figuren sind.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

Dieser Vorwurf gegenüber Männern ist altbekannt: Wichtig seien für sie vor allem lange Beine, ein knackiger Hintern, eine ansprechende Oberweite – und vor allem eine schlanke Figur. Das feministische Lager spricht hier immer wieder von einer Unterdrückung der Frau durch „Schönheitsterror“ und „Schlankheitswahn“. Die amerikanischen Feministinnen Gloria Steinem und Naomi Wolf führten in ihren Büchern sogar eine Studie an, der zufolge pro Jahr 150.000 Amerikanerinnen an Magersucht starben und verglichen dies mit dem Holocaust, wobei sie stillschweigend den Männern die Rolle der Nazis zuordneten. Eine lautstarke Behauptung, die nur an vier winzigen – pardon! – Schönheitsfehlern litt:

· Erstens stellte sich bei sorgfältiger Überprüfung der von Wolf und Steinem angeführten Quellen heraus, dass die Zahlen nicht ganz so hoch lagen, wie von den Feministinnen behauptet: Statt 150.000 Frauen starben pro Jahr nur einhundert an Magersucht. [1]

· Zweitens ist bei genauerer Betrachtung nicht zu übersehen, dass die typischen Playboy-Schönheiten zwar tatsächlich von Jahr zu Jahr schlanker werden, aber durchaus noch etwas auf den Rippen haben. Die wirklich spindeldürren Models schrecken Männer eher ab und finden sich daher vor allem in Modemagazinen, die von Frauen gekauft werden:

Es sind die Leserinnen solcher Magazine, die dieses Aussehen unterstützen, nicht die Männer. Als der Geschlechterforscher Warren Farrell für die Frauenzeitschrift Glamour herausfand, dass Männer vor allem von leicht übergewichtigen Frauen erotisch angezogen wurden, und die befragten Männer berichteten, gerade die attraktivsten Frauen hätten sich als die schlechtesten Geliebten herausgestellt, wurde der gesamte Artikel nicht gedruckt, sondern auf Weisung der Glamour-Redaktion fallengelassen. [2] Bezeichnenderweise ergab eine Befragung von mehreren hundert Jugendlichen, dass die weiblichen Versuchspersonen glaubten, die männlichen würden schlankere Frauen bevorzugen – was aber der tatsächlichen Einstellung der Männer überhaupt nicht entsprach. [3]

· Drittens ist „Schönheitsterror“ als alleinige Ursache für Ess-Störungen arg kurz gegriffen. Andere Ursachen, die Medizinern zufolge in dieses Krankheitsbild hineinspielen, sind z. B. das private Umfeld und die seelische Verfassung der betreffenden Person. Die meisten Magersüchtigen leiden auch unter Depressionen. Symptomatisch für Essgestörte ist zudem fast immer ein gestörtes Verhältnis zur Familie (und da meistens zur Mutter) oder zum Partner. In vielen Fällen hängt Magersucht auch mit der Weigerung zusammen, erwachsen zu werden: Bei der Gewichtsabnahme bilden sich auch die weiblichen Rundungen zurück. Deshalb ist der größte Teil der Magersüchtigen zwischen 15 und 25 Jahre alt. Auch die Biochemie ist ein Faktor: So trägt zur Entstehung von Magersucht ein Mangel an Serotonin bei – ein Botenstoff, der im weiblichen Gehirn

ohnehin seltener vorkommt als im männlichen. Selbst Feministinnen aber werden Männern wohl kaum vorwerfen, dass diese ihren Partnerinnen die Serotoninreserven abschneiden. [4]

· Viertens ist es ein grotesker Witz, wenn Naomi Wolf und ihre Anhängerinnen ausgerechnet von einem „Schlankheitswahn“ in den USA sprechen. Dort ist noch mehr als in anderen Ländern der westlichen Welt das weitaus häufigere und schwerer wiegende Gesundheitsrisiko Übergewicht und Fettleibigkeit. Dabei richtet sich die Definition von Übergewicht nicht nach den Vorstellungen sexistischer Männer, sondern nach medizinischen Kategorien: Die führende Todesursache von Frauen in den USA ist Herzschwäche, und Übergewicht trägt zur Entstehung dieser Störung bei. Wenn wir Männer dünne Frauen bevorzugen, heißt es, wir würden sie zu Tode hungern – würden wir Dicke mögen, würden uns Feministinnen vorwerfen, dass wir sie zu Tode mästen.

Solches Denken ist allzu sehr fixiert, den Mann als Sündenbock für die unterschiedlichsten Probleme heranzuziehen. Dabei wird übersehen, dass auch Männer stark von einem Schönheitsideal unserer Gesellschaft betroffen sind. Als etwa der Psychologe Barry Glassner in einer Studie 256 nichtmuskulöse männliche Jugendliche untersuchte, stellte er fest, dass jeder einzelne von ihnenentweder Stimmungs- oder Verhaltensstörungen aufwies, die mit Minderwertigkeitsgefühlen zusammenhingen. Und eine landesweite Untersuchung der Zeitschrift Psychology Today an 62.000 Teilnehmern ergab einen direkten Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl und Körperbau: Je muskulöser nach eigener Einschätzung der Körper, desto größer das Selbstwertgefühl. Längst haben so auch die Männer durch ihre zwanghafte Sorge um Form und Umfang ihres Körpers Krankheitsbilder wie Anorexie und Bulimie entwickelt. [5]

Das könnte auch damit zusammenhängen, dass bei alltäglichen Kontakten die körperliche Attraktivität für Männer eine größere Rolle als für Frauen spielt. Das mag überraschen, ist aber wahr: Studenten erhielten für 14 Tage einen Fragebogen mit nach Hause, in dem sie eintragen mussten, mit wem sie sich jeden Tag trafen. Je attraktiver ein Mann war, um so häufiger kam er in dieser Zeit mit Frauen und um so seltener mit Männern zusammen. Für Frauen gab es diesen Effekt nicht. Je attraktiver ein Mann war, desto intimer konnte er mit seinen weiblichen Bekannten auch werden. [6] Männer, die weniger hübsch anzuschauen sind, müssen also eher auf Zuwendung vom anderen Geschlecht verzichten.

Über die Folgen dieses Sachverhalts berichtete ein Buch mit dem Titel „The Adonis Complex“. Seine Autoren weisen nach, dass die neue Fitness-Hysterie, die auch in Deutschland von Zeitschriften mit muskulösen Coverboys geschürt wird, bei ihren männlichen Opfern zu schweren Störungen führt. Um weibliche Zuneigung zu erhalten, versuchen die Männer so sehr, einem unrealistisch perfekten Körperbild zu entsprechen, dass sie darauf fixiert sind, Dinge an ihrem Körper zu verbessern, die andere Menschen nicht einmal wahrnehmen. Vor lauter Gewichttraining vernachlässigen sie ihre persönlichen Beziehungen und ihre Karriere, und sie ruinieren ihre Gesundheit mit Anabolika und vermeintlich muskelaufbauender Ernährung. Die Zahl der Männer, die unter Fresssucht, Bulimie und erzwungenem Erbrechen leiden, liegt in den USA bereits um die sieben Millionen. Die Zahl der Männer mit weniger drastischen Ess-Störungen ist wesentlich größer.

Einer Studie der University of the West of England zufolge machen sich Männer um ihr Körperbild inzwischen mehr Sorgen als Frauen. Mehr als vier von fünf Männern (80,7%) sprechen auf eine Art und Weise über ihren Körper, die sich auf empfundene Fehler und Unvollkommenheiten bezieht (verglichen mit 75% der Frauen). 38% der Männer würden mindestens ein Jahr ihres Lebens für einen perfekten Körper opfern – wiederum ein höherer Anteil als beim weiblichen Geschlecht. 23% sagten, Befürchtungen über ihr Aussehen hätten sie davon abgehalten, ins Fitnessstudio zu gehen. 63% hielten ihre Arme oder Brustkörbe für nicht muskulös genug. 29% dachten mindestens fünfmal täglich an ihr Aussehen. 18% waren auf einer proteinreichen Diät, um ihre Muskelmasse zu erhöhen, und 16% auf einer kalorienkontrollierten Diät, um abzunehmen. [7]

Tatsächlich wird das Leiden von Männern hier wie bei anderen Themen eher zufällig erfasst, während man sich eigentlich den Nöten von Frauen widmen wollte. So wurde 2016 auf der Jahrestagung der American Psychological Association eine Studie vorgestellt, die eigentlich zum Ziel hatte, zu untersuchen, welchen Einfluss die Dating-App Tinder auf das Selbstwertgefühl von Frauen hat. Für diese Untersuchung wurden 1.044 Frauen und 273 Männer zu Aspekten wie Körperwahrnehmung, Objektivierung und Zufriedenheit befragt. Das Ergebnis: Diejenigen Versuchspersonen, die Tinder zum Daten nutzten, verfügten im Vergleich zu den anderen über weniger Selbstwertgefühl, ein schlechteres Körperbild und fühlten sich nicht mehr als Person wahrgenommen. Den Männern ging es dabei deutlich schlechter als den Frauen: „Obwohl Vorgaben von Körperbildern hauptsächlich auf Frauen gemünzt sind, legen unsere Ergebnisse nahe, dass Männer davon genauso negativ betroffen sind, wenn sie dieses soziale Netzwerk nutzen“, erklärte Jessica Strübel, eine der Autorinnen der Studie. [8] Obwohl Männer also alles in allem unter noch größerem Druck stehen, bleiben sie in der Debatte häufig ausgeblendet. Das gilt auch hierzulande. Wie Christian Heidrich in der Rheinischen Post vom 29. September 2006 berichtete, haben rund 90.000 deutsche Männer mit Essstörungen zu kämpfen – und erhalten bei den Beratungsstellen keine Hilfe, weil deren Angebote praktisch durchgehend nur für Frauen ausgelegt sind. Nicht anders sei es bei dem Hilfsangebot in Kliniken, zitiert Heidrich die Einschätzung Oskar Knops, des Fachreferenten für Suchtfragen beim Caritasverband für das Bistum Aachen. Auch Männer könnten den ständig beworbenen Schönheitsidealen nicht mehr ausweichen: „Der Wunsch nach straffen Muskeln und einem Waschbrettbauch lasse sie im Extremfall sehr exzessiv Sport treiben oder zu Medikamenten greifen, die jegliche Zunahme verhindern.“ Hier müsse die Gesellschaft in ähnlicher Weise sensibilisiert werden, wie das bei Frauen seit langem der Fall ist.

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[1] Sommers, Christina Hoff: Who Stole Feminism? How Women Have Betrayed Women. New York 1994, S. 11-12.

[2] Farrell, Warren: Women Can’t Hear, What Men Don’t Say. New York 1999, S. 228.

[3] Wardetzki, Bärbel: „Iß doch endlich mal normal.“ Hilfen für Angehörige von eßgestörten Frauen. München 1996, S. 34.

[4] Jansen, Paul u.a. (Hg.): Klinik der Ess-Störungen – Magersucht und Bulimie. München 1997, S. 35-39.

[5] Vgl. Real, Terence: Mir geht’s doch gut. Männliche Depressionen – warum sie so oft verborgen bleiben, woran man sie erkennt und wie man sie heilen kann. München 1999, S. 33.

[6] Grammer, Karl: Signale der Liebe. Die biologischen Gesetze der Partnerschaft. München 1995, S. 172-173.

[7] Vgl. Campbell, Denis: Body image concerns more men than women, research finds. In: The Guardian vom 6.6.2012. Online unter https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2012/jan/06/body-image-concerns-men-more-than-women.

[8] Vgl. Windmüller, Gunda: Warum Onlinedating nichts für Männer mit geringem Selbstbewusstsein ist. Online seit dem 1.11.2016 unter http://ze.tt/warum-online-dating-nichts-fuer-maenner-mit-geringem-selbstbewusstsein-ist.