„Videospiele machen die Spieler sexistisch.“
DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:
Vor einigen Jahren verbreitete die kanadisch-amerikanische Feministin Anita Sarkeesian in ihrem Youtube-Videoblog Feminist Frequency die These, dass Videospiele bei ihren Benutzern sexistisches Denken erzeugen oder verstärken würde. Diese These wurde bald von anderen Feministinnen (vor allem Brianna Wu und Zoe Quinn) unterstützt und von Journalisten aufgegriffen – der Ansicht vieler Spieler zufolge auf allzu unkritische und voreingenommene Weise. Daraus entwickelte sich eine der hitzigsten Kontroversen in der Geschlechterdebatte, wobei sich die Verteidiger der Videospiele unter dem Hashtag „Gamergate“ zusammenfanden.
Die Berichterstattung über die Gamergate-Bewegung war in den internationalen Leitmedien noch einseitiger als die Berichterstattung über die Männerrechtsbewegung und andere soziale Bewegungen, die feministische Darstellungen kritisieren. Die Hysterie schlug derart hoch, dass sogar im feministischen Lager einzelne Personen Einspruch einlegten – beispielsweise die Journalistin Cathy Young, die dazu im britischen Observer Folgendes schrieb:
„Wenn man ISIS nicht mitzählt, fällt es schwer, an eine neue Bewegung mit einem schlechteren Bild als Gamergate zu denken. Es wurde verschiedentlich als ‚Hassgruppe‘, als ‚frauenfeindliche Belästigungskampagne, getarnt als Konsumrevolte‘, und als eine angebliche politische Bewegung beschrieben, die darauf basiert, ‚jede Frau zu vergewaltigen, die die Kühnheit hat, eine Meinung über ein Videospiel abzugeben‘. (…) Aber ist der schlechte Ruf von Gamergate unfair – das Ergebnis von absichtlichen Verleumdungen und schlechter Berichterstattung? Nachdem ich die Bewegung ein Jahr lang verfolgt und mit ihren Mitgliedern interagiert habe, bin ich überzeugt davon.“
Im weiteren Verlauf ihres Artikels stellt Young einiges klar: Auch wenn es unter den Reaktionen auf Sarkeesian und ihre Mitstreiterinnen frauenfeindliche Attacken gab, hatte doch der Großteil der an den Feministinnen geäußerte Kritik nachvollziehbare Gründe und wurde auch von Frauen, einschließlich anderer Feministinnen, geäußert. Wirklich widerwärtige Attacken ließen sich gerade nicht zur Gamergate-Bewegung zurückverfolgen. Ein Internetspezialist, der zu dem Urteil gelangte, dass von Gamergate keine Massenbelästigung ausging, wurde daraufhin selbst Opfer von Attacken, weil er „Gamergate unterstütze“. Ähnlich ging es anderen Unterstützern, bis hin zu Gewaltdrohungen. Viele Journalisten hingegen, die über Gamergate berichteten, überprüften die Behauptungen seiner Gegner nicht, sondern nahmen sie bei der Berichterstattung für bare Münze. Die Darstellungen von Gamergate-Unterstützern wurden in den Leitmedien ignoriert. [1]
Deutsche Leitmedien, die über angebliche Angriffe auf feministische Spielekritikerinnen berichteten, beispielsweise Morten Freidel in der Frankfurter Allgemeinen [2] und Torsten Kleinz bei Heise, [3] zeichneten ein einseitiges Zerrbild mit den Feministinnen als Opfern und den PC-Spielern als Täter. Beispielsweise konnte ich trotz intensiver Beschäftigung mit diesem Thema abgesehen von einer einzigen Ausnahme [4] keinen Artikel in deutschen Leitmedien finden, der die Berichte über Gewaltdrohungen aus dem feministischen Lager gegen die Gamergate-Bewegung aufgriff. In englischsprachigen Medien hingegen gab es sehr wohl solche Artikel: Über die Bombendrohungen gegen ein Gamergate-Treffen in Washington beispielsweise berichteten Gamepolitics [5], Polygon [6], Inquisitr [7] und Gamerplanet [8]. Durch diese Einseitigkeit entstand eine verzerrende Berichterstattung: Eine wechselseitig eskalierende Kontroverse erschien als Hetze auf Feministinnen, als ob die Gamerszene von massiver Frauenfeindlichkeit geprägt wäre.
Als für die nötige Differenziertheit dienendes Gegengewicht seien hier lediglich zwei Artikel aus dem US-amerikanischen Raum passagenweise zitiert. In einem weiteren Artikel nahm zunächst einmal Cathy Young die Bombendrohungen gegen das Gamergate-Treffen in Washington D.C. als Aufhänger zu weitergehenden Betrachtungen:
„Seit seiner Geburt vor acht Monaten wurde Gamergate, die Bewegung der Online-Spieler, die sich selbst als Revolte gegen korrupten Journalismus und repressive politische Korrektheit bezeichnet, als frauenfeindlicher Mob angegriffen, der weibliche Videospielentwickler und feministische Kritiker terrorisiere – eine Erzählung, die von den meisten Mainstream-Medien aufgegriffen und sogar von der TV-Sendung Law & Order: SVU dramatisiert wurde. Die ‚Gaters‘ haben inzwischen immer erklärt, dass sie unfairerweise als Belästiger dargestellt werden, während sie selbst häufige Ziele von Belästigungen und Drohungen im Kulturkampf um Videospiele sind. Und jetzt hat Gamergates erstes amerikanisches Treffen in Washington, DC dieses Wochenende in einem Bombenalarm geendet – nach einem Versuch, den Veranstalter so sehr einzuschüchtern, dass er das Treffen absagte.
(…) Recht und Unrecht bei Internetkontroversen auszusortieren ist eine undankbare Aufgabe. Besonders bei einer führerlosen, unstrukturierten Hashtag-Gruppe wie Gamergate ist es nahezu unmöglich, mit Sicherheit festzustellen, ob ein bestimmter Fall von Belästigung mit der Bewegung in Verbindung steht oder die Arbeit von externen Trollen ist. Gibt es tatsächliche Gamergate-Unterstützer, die sich online an missbräuchlichem Verhalten beteiligt haben? Sehr wahrscheinlich. Aber es gibt viele dokumentierte Fälle von Anti-Gamergaters, die eine verblüffend gewalttätige Sprache verwenden und Drohungen gegen ‚Gaters‘ aussprechen; einige von ihnen wurden von dem britischen linkslibertären Journalisten Alum Bokhari zusammengestellt, der auch Gast des DC-Treffens ist. Ironischerweise, wie Bokhari demonstriert, äußerte sich die Gamergate-Erzfeindin Brianna Wu im Februar letzten Jahres alarmiert über Tweets, die scherzhaft mit einem Sarin-Gasangriff auf der Penny Arcade Expo drohten – unter dem falschen Eindruck, dass es sich um eine Bedrohung von Gamergate handelte. Nachdem sie erkannt hatte, dass dies eine Drohung gegen Pro-Gamergate-‚Idioten‘ war, löschte Wu ihren Beitrag.“ [9]
Über eine Gamergate-Veranstaltung in Miami, gegen die es ebenfalls eine Bombendrohung gab, berichtete Kevin McDonald in einer Zeitung für junge Bürger der Stadt und schrieb in seinem Artikel „There Is No Real Evidence That Gamergate Is A Sexist Movement“ Folgendes:
„Selbst nachdem ich beleidigt und geblockt wurde, war ich gegenüber Gamergate noch weitgehend neutral. Das änderte sich erst, als ich die Anti-Gamer-Seite sah, die praktisch komplett aus radikalfeministischen Hardlinern besteht, die Spieleentwickler und Künstler angriffen. Spieleentwickler wurden von dieser Anti-Gamer-Gruppe wegen ihrer kreativen Freiheit beschämt und oft sogar belästigt.
(…) Etwa zur gleichen Zeit erlebte ich, wie mehrere Anti-Gamers mehrere Gamergate-Leute belästigten und bedrohten. Sogar die Adressen von Menschen, mit denen ich sprach, wie Lizzy Finnegan, wurden online bekannt gemacht, woraufhin diese Menschen Mord- und Vergewaltigungsdrohungen für die Unterstützung von Gamergate erhielten.
Es war nicht nur Lizzy, sondern Tausende von Gamergate-Mitgliedern wurden belästigt und bedroht. Sogar meine Privatadresse und persönliche Informationen über mich wurden online veröffentlicht, weil ich Gamergate unterstützen würde.
Nach über einem halben Jahr und im Gespräch mit Hunderten von Gamergate-Mitgliedern aus verschiedenen Communities habe ich noch nie eine Belästigung durch Menschen gesehen, die mit Gamergate zu tun haben. Ich habe in allen wichtigen Gamergate-Foren gepostet, besuche alle wichtigen IRC-Kanäle und bin Teil verschiedener anderer Gamergate-Communities, wie z.B. der TeamSpeak/Skype/Steam-Gruppen. Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die ich getroffen habe, waren freundliche und vernünftige Menschen. (…) Die weit überwiegende Mehrheit der Menschen, die mit Gamergate zu tun haben, verurteilen die Belästigung auf das Schärfste, und viele von uns sind selbst Opfer geworden.“ [10]
Auch die Unterstellung, bei „Gamergate“ handele es sich um eine Zusammenrottung von Frauenhassern aus dem rechten Lager [11], ließ sich nicht bestätigen. Als nämlich der Journalist Brad Glasgow, der aktuell an einem Buch über Gamergate arbeitet, einen politischen Kompass von GamerGate-Unterstützern erstellte, fand er heraus dass die meisten in den USA die Demokraten und in England die Liberal Democrats oder Labour wählten. [12]
Ein Problem bei der verzerrenden Berichterstattung über die Gamergate-Kontroverse ist, dass dahinter die Frage verschwindet, ob das feministische Lager mit seiner Behauptung, PC-Spiele führten zu Sexismus, überhaupt Recht hat. Stattdessen wird beim Leser durch die Einseitigkeit der Berichterstattung unterschwellig suggeriert, dass an den Vorwürfen etwas dran sein müsse. Aber was sagt die nicht-ideologische wissenschaftliche Forschung zu dieser Frage?
Die Medienwissenschaftlerin und Professorin für Game Design Linda Breitlauch weist die feministische Kritik zurück. Als Entgegnung auf die Vorwürfe, PC-Spiele seien auf die Bedürfnisse von Frauen zu wenig zugeschnitten, nennt sie als Gegenbeispiele Games wie die „Sims“-Reihe und „Candy Crush“, die primär auf weibliche Konsumenten abzielen. Auf die Behauptung, in den meisten Spiele-Blockbustern kämen Frauen trotzdem zu kurz, erwidert Breitlauch, dass zum einen historische Spiele z.B. über die Kreuzzüge mit Frauenfiguren wenig Sinn ergäben. Zum anderen zeigten Umfragen, „dass Fans von Ego-Shootern schlicht nicht auf Soldatinnen schießen wollen.“ Die Kritik an Spielen wie „Grand Theft Auto“, sie würden zur Gewalt gegen Frauen anspornen, ist für Breithaupt ebenfalls wenig überzeugend: „Das Spiel ist klar als Fiktion gekennzeichnet, es zeigt auf satirische und völlig überzeichnete Weise eine verkommene Version der amerikanischen Gesellschaft. Für frauenfeindlich oder gewaltverherrlichend halte ich es nicht.“ [13]
Soviel zur Expertenmeinung – aber was sagen uns die wissenschaftlichen Untersuchungen, die über solche Spiele vorliegen? Auch sie liefern keinen Beleg dafür, dass sie ihre Benutzer sexistisch machen. Im Gegenteil: Im Jahr 2015 führte das Forschungsteam um den Kölner Psychologen Johannes Breuer eine vom Europäischen Forschungsrat finanzierte Längsschnittstudie durch, um diese Frage zu klären. Längsschnittuntersuchungen werden über einen bestimmten Zeitraum durchgeführt, wobei Momentaufnahmen von Daten gemacht werden. In diesem Fall bezog Breuer ab dem Jahr 2011 große Stichproben von Teilnehmern ab 14 Jahren in drei Testwellen über mehrere Jahre hinweg ein. Er ermittelte, mit welcher Häufigkeit sie sich solchen Spielen widmeten (jeden Tag, mehrmals in der Woche, mehrmals im Monat oder seltener und wie viele Stunden pro Tag, Woche oder Monat im Durchschnitt). Die Befragten gaben auch an, wie sehr sie jedes Videospielgenre auf einer 5-Punkte-Skala mochten, also etwa Ego-Shooter, Actionspiele und Rollenspiele. Außerdem sollten sie auf einer Skala den Grad ihrer Zustimmung zu Behauptungen äußern wie „In einer Gruppe von männlichen und weiblichen Mitgliedern soll ein Mann die Leitung übernehmen“ und „Auch wenn beide Partner arbeiten, soll die Frau für die Haushaltsführung verantwortlich sein“.
Das Resultat: Es zeigte sich bei Spielern beiderlei Geschlechts, dass weder die Häufigkeit, mit der sie sich solchen Spielen hingaben, noch ihre Vorliebe für bestimmte Genres in irgendeinem Zusammenhang mit ihrer Einstellung dazu stand, welche Rolle Frauen und Männer in der Gesellschaft zu spielen hatten. Davon abgesehen war die Zustimmung zu den sexistischen Behauptungen generell gering (am höchsten bei besonders jungen Spielern mit besonders niedriger Schulbildung). [14] Der so erbittert geführte Kulturkampf war unnötig gewesen.
Von der Gamergate-Kontroverse blieb zuletzt kaum mehr als eine letzte, psychologisch sehr interessante Fußnote: Von den Journalisten, die sich am meisten damit profiliert hatten, Gamergate als eine Bewegung von Frauenhassern zu verleumden, hat inzwischen eine ganze Reihe ihren Job verloren oder wurde verhaftet – wegen Vorwürfen sexueller Belästigung, Stalking, Vergewaltigung und Kinderpornographie. [15]
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[1] Vgl. Young, Cathy: Blame Gamergate’s Bad Rep on Smears and Shoddy Journalism. In: Observer vom 13.10.2015, online unter http://observer.com/2015/10/blame-Gamergates-bad-rep-on-smears-and-shoddy-journalism.
[2] Vgl. Freidel, Morten: Wenn Kritik kommt, hört das Spiel auf. In: Frankfurter Allgemeine vom 28.10.2014, online unter http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/Gamergate-wenn-kritik-kommt-hoert-das-spiel-auf-13232818.html.
[3] Vgl. Kleinz, Torsten: Sexismus in der Spieleszene: Streit über Gamergate in der Wikipedia. Online seit dem 28.1.2015 unter https://www.heise.de/newsticker/meldung/Sexismus-in-der-Spieleszene-Streit-ueber-Gamergate-in-der-Wikipedia-2530371.html.
[4] Der SWR berichtete am 16.8.2015 weitaus weniger einseitig als die von mir erwähnten Zeitungen über die Kontroverse sowie gegen die Bombendrohung gegen Gamergate in Miami. Der Beitrag ist nur noch per Archiv aufrufbar unter http://archive.is/psXlG.
[5] Vgl. Fudge, James: Gamergate D.C. gathering targeted by bomb threat. In: GamePolitics vom 4.5.2015, online unter https://archive.fo/WAJ4W#selection-167.1-167.49.
[6] Vgl. Good, Owen: Bomb threat clears out Gamergate gathering in Washington D.C. Online seit dem 3.5.2015 unter https://www.polygon.com/2015/5/3/8539733/Gamergate-bomb-threat-washington-ggindc-milo-yiannopoulos-christina-hoff-summers.
[7] Vgl. Frye, Patrick: Gamergate Meeting Evacuated After Bomb Threat. Online seit dem 2.5.2015 unter https://www.inquisitr.com/2060700/Gamergate-meeting-evacuated-after-bomb-threat.
[8] Vgl. Maguire, Matt: Bomb threat halts Gamergate event. Online seit dem 4.5.2015 unter https://www.gameplanet.com.au/news/g55468fa583954/Bomb-threat-halts-Gamergate-event.
[9] Vgl. Young, Cathy: Bomb Threat Targets Gamergate Meetup (Hear From Somebody Who Was There). In: Reason vom 4.5.2015, online unter http://reason.com/archives/2015/05/04/bomb-threat-targets-Gamergate-meetup-hea#.m3yztk:2l0Q.
[10] Vgl.McDonald, Kevin: There Is No Real Evidence That Gamergate Is A Sexist Movement. In: Rise: Miami News vom 16.8.2015. Online unter https://archive.is/k6TLl#selection-439.0-439.61.
[11] Diese Unterstellung verbreitete etwa der feministische Guardian, vgl. Stone, Jon: Gamergate’s vicious right-wing swell means there can be no neutral stance, in: Guardian vom 13.10.2014, online unter https://www.theguardian.com/technology/2014/oct/13/gamergate-right-wing-no-neutral-stance.
[12] Vgl. Glasgow, Brad: No, Gamergate is Not Right Wing. Online seit dem 21.11.2016 unter http://www.gameobjective.com/2016/11/21/no-gamergate-is-not-right-wing.
[13] Vgl. N.N.: „Satirisch, nicht frauenfeindlich“. In: Der Spiegel Nr.2/2015, online seit dem 5.1.2015 unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-131147815.html.
[14] Vgl. Breuer, J. und andere: Sexist games=sexist gamers? A longitudinal study on the relationship between video game use and sexist attitudes. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking. 4/2015, S. 197-202, online unter http://online.liebertpub.com/doi/abs/10.1089/cyber.2014.0492.
[15] Vgl. Billy D.: Anti-Gamergate Critic, Stuart Campbell, Arrested for Harassment. Online seit dem 23.8.2017 unter https://www.oneangrygamer.net/2017/08/anti-Gamergate-critic-stuart-campbell-arrested-for-harassment/37848/. Weiterführende Quellen siehe dort. Siehe auch: Billy D.: Anti-#Gamergate Developer John Kane Apologizes for Sexual Misconduct. Online seit dem 21.3.2019 unter https://www.oneangrygamer.net/2019/03/anti-gamergate-developer-john-kane-apologizes-for-sexual-misconduct/80616. Weiterführende Quellen siehe dort.