Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Der Frauenmangel im naturwissenschaftlich-technischen Bereich zeigt, dass unsere Gesellschaft von Geschlechtergerechtigkeit weit entfernt ist.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

Wie könnte man das Ungleichgewicht der Geschlechter bei verschiedenen Studienfächern sinnvoll angehen? Mit dieser Frage beschäftigte sich Aaron Neil in einem Beitrag für das australische Magazin Quillette. [1] Zunächst einmal stellte er dabei fest, dass der Anteil an Frauen in höheren naturwissenschaftlichen Forschungspositionen ziemlich exakt dem Anteil der Frauen bei den eingegangenen Bewerbungen entspricht. Somit gelangt er zu dem folgerichtigen Schluss, dass Sexismus als Ursache ausscheidet.

Wie sieht es mit dem feministischen Erklärungsmodell aus, dass eine patriarchale Gesellschaft Frauen in „traditionell weibliche“ Studienfächer drängt statt in die Naturwissenschaften, wo überwiegend Männer zu Werke sind? Hier sei an das erinnert, was in dem Eintrag „Je mehr Gleichberechtigung, desto ausgewogener die Geschlechterrollen“ ausgeführt wurde: Wenn die feministische Deutung zuträfe, dann würden in Gesellschaften, bei denen die Geschlechter am meisten gleichberechtigt sind, Frauen weitaus häufiger ähnliche Entscheidungen wie Männer treffen. Die Geschlechterkluft würde sich dort schließen. Tatsächlich aber zeigen Untersuchungen, dass das Gegenteil der Fall ist. Je größer Wohlstand und Geschlechtergerechtigkeit in einer Gesellschaft, desto größer wird der Unterschied, in welche Felder Frauen und in welche Felder Männer wandern. Das zeigen verschiedene Studien deutlich [2] – unter anderem eine Untersuchung, deren Autoren 55 verschiedene Kulturen mit Blick auf diese Dinge verglichen haben. [3]

Insofern gelangen die Forscher zu einer gänzlich anderen Schlussfolgerung: Gerade wenn sich eine Gesellschaft zu mehr Wohlstand und mehr Geschlechtergerechtigkeit entwickelt, haben Frauen wie Männer mehr Entscheidungsspielraum, welchen Lebensweg sie wählen, und können ihre geschlechtsspezifischen Vorlieben umso mehr entfalten. Denn tatsächlich zeigen Studien, dass Männer eher die Arbeit mit Dingen bevorzugen und Frauen die Arbeit mit Menschen. Männer in ihrer Gesamtheit weisen tendenziell stärkere Interessen an der Realität und deren Ergründung auf, Frauen stärkere künstlerische und soziale Interessen. [4]

David Geary, Professor in der Abteilung für Psychologische Wissenschaften und Neurowissenschaften an der Universität Missouri und Autor zahlreicher Forschungsbände über Geschlechtsunterschiede, erklärt in einem 2017 veröffentlichten Aufsatz:

„Entscheidungen bei der Wahl der Laufbahn werden unter anderem durch die akademischen Stärken und Schwächen einer Person beeinflusst. Diese und viele andere geschlechtsspezifische Unterschiede kommen in wohlhabenden, demokratischen und geschlechtsspezifischen Gesellschaften stärker zum Ausdruck. Nehmen wir Finnland als Beispiel. Nach Angaben des Weltwirtschaftsforums (2015) gehört Finnland zu den Ländern mit der höchsten Geschlechtergerechtigkeit in der Welt. Darüber hinaus gehören finnische Studenten zu den besten Bildungsanbietern in Europa, und junge Mädchen in diesem Land schneiden besser ab als ihre männlichen Kollegen in der Wissenschaft. Daher sollte Finnland an der Schwelle zur Beseitigung der Geschlechterunterschiede in Wissenschaft, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik (MINT) stehen. Dennoch weist Finnland bei MINT-Feldern weltweit eine der größten Lücken im Hochschulabschluss auf (weniger als 25 Prozent werden von Frauen erzielt), und Norwegen und Schweden, die bei den Rankings zur Gleichstellung der Geschlechter ebenfalls führend sind, liegen nicht weit zurück. Dies ist nur die Spitze des Eisbergs, denn dieses allgemeine Muster findet sich überall auf der Welt: Die Beteiligung von Frauen an MINT-Feldern auf allen Ebenen (vom Wissenschaftler bis zum Techniker) nimmt ab, wenn sich das nationale Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung und der Gleichstellung der Geschlechter verbessert. Ein Luxus des Lebens in einer dieser Gesellschaften ist die Möglichkeit, berufliche Nischen zu erforschen und zu verfolgen, die nicht nur den eigenen Interessen, sondern auch den eigenen akademischen (und anderen, wie etwa zwischenmenschlichen) Stärken entsprechen.“ [5]

Fehlende Gleichverteilung etwa bei Professorenstellen ist somit gerade kein stichhaltiges Anzeichen dafür, dass in einer Gesellschaft nicht ausreichend Gleichberechtigung herrscht. Wenn Feministinnen argumentieren, die große Geschlechterkluft zwischen Frauen und Männern in naturwissenschaftlich-technischen Bereichen sei ein Beleg für fehlende Gleichberechtigung in Deutschland, klingt das zunächst nachvollziehbar. Die aktuelle Forschung zeigt aber, dass das exakte Gegenteil zutrifft.

Exemplarisch belegt dies auch eine Befragung, die unter Bielefelder Psychologiestudenten durchgeführt wurde. Anlass dafür war, dass zwei Drittel der Studentenschaft weiblich, aber nur 14,5 Prozent der Lehrstellen von Frauen besetzt waren. Ein klarer Fall von Diskriminierung? Nein, denn es stellte sich heraus, dass von allen befragten Frauen keine drei Prozent Forschung als Arbeitsgebiet überhaupt attraktiv fanden und magere 20 Prozent es sich überhaupt „vorstellen konnten“ (!), nach ihrem Diplom an der Universität zu bleiben. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass sich auch von diesen 20 Prozent wegen Berufsangeboten oder anderen Entwicklungen ein guter Teil anderweitig orientiert, kann man den Schluss nicht vermeiden, dass sehr viele dieser Studentinnen, die an der Uni unterkommen möchten, es auch schaffen. Als Hinderungsgrund für eine wissenschaftliche Laufbahn wurde übrigens die Furcht vor „abstrakten Themen“ angegeben, denen 54 Prozent der befragten Frauen wenig abgewinnen konnten. [6]

Ein weiteres Beispiel: Der feministischen Rhetorik zufolge trauen sich Mädchen seltener an mathematisch-naturwissenschaftlichen Schulfächer heran, weil sie von den forschen gleichaltrigen Jungen in diesem Bereich beiseite gedrängt werden. Um dieses vermeintliche Problem zu beheben, begann der Physiklehrer Michael Scheffe („In unserem Physik-Leistungskurs in der Oberstufe sitzen 17 Jungs und gerade mal ein Mädchen.“) Schüler beiderlei Geschlechts getrennt voneinander zu unterrichten. Dafür teilte er zwei siebte Klassen auf: in je eine Gruppe mit 25 Mädchen und je eine Gruppe mit 25 Jungen. Zwei weitere Klassen bilden die Kontrollgruppe des Versuchs.

Das Ergebnis war ernüchternd, berichtet Scheffe: „Mein erster Eindruck ist, dass kaum ein Unterschied zu spüren ist.“ Darauf deuteten auch Befragungen der Hochschule Kaiserslautern hin, die das Projekt wissenschaftlich begleitet. Zu Beginn und zum Ende des Schuljahrs wurden beide Gruppen – die getrennte und die gemischte – zu ihrer Motivation für Physik befragt. Und noch immer waren die Mädchen deutlich weniger an Physik interessiert als die Jungs – egal, in welcher Gruppe sie unterrichtet wurden. [7]

Eine gänzlich neue Sichtweise auf den geringen Frauenanteil in Naturwissenschaften liefert indes eine kanadische Untersuchung. Sie gelangt zu der Erkenntnis, dass Schülerinnen der zwölften Klasse im naturwissenschaftlichen Bereich ähnlich erfolgreich sind wie ihre männlichen Mitschüler – und viel erfolgreicher in allen anderen Fächern. Wenn es also ans Studieren geht, rechnen sich viele junge Männer allein im naturwissenschaftlich-technischen Bereich Chancen aus und strömen in entsprechende Fächer. Die tatsächliche Geschlechterkluft, erklärte der hochrangige Wirtschaftswissenschaftler Alex Tabarrok, der die Studie einer kritischen Überprüfung unterzog, bestünde damit in dem Problem, dass unser Erziehungssystem Jungen nicht zu denselben schulischen Erfolgen verhilft wie jungen Frauen. [8]

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[1] Vgl. Neil, Aaron:  Why It’s Time To Stop Worrying About First World ‘Gender Gaps’. Online seit dem 15.7.2017 unter http://quillette.com/2017/07/15/time-stop-worrying-first-world-gender-gaps.

[2] Vgl. etwa Lippa, Richard: Gender Differences in Personality and Interests: When, Where, and Why? In: Social and Personality Psychology Compass Vol. 4, Nr. 11/2010, S. 1098–1110. Online unter http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1751-9004.2010.00320.x/abstract.

[3] Vgl. Schmitt, David und andere: Why Can’t a Man Be More Like a Woman? Sex Differences in Big Five Personality Traits Across 55 Cultures. In: Journal of Personality and Social Psychology Vol. 94, Nr. 1/2008, S. 168–182, online unter https://www.bradley.edu/dotAsset/165918.pdf.

[4] Vgl. etwa Su, Rong und andere: Men and Things, Women and People: A Meta-Analysis of Sex Differences in Interests. In: Psychological Bulletin Vol. 135, Nr. 6/2009, online unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19883140.

[5] Vgl. Geary, David: Straight Talk About Sex Differences in Occupational Choices and Work-Family Tradeoffs. Online seit dem 9.8.2017 unter https://ifstudies.org/blog/straight-talk-about-sex-differences-in-occupational-choices-and-work-family-tradeoffs.

[6] Vgl. Nuber, Ursula: Furcht vor abstrakten Themen. In: Psychologie heute compact, Thema: Frauen, 1998, S. 37.

[7] Vgl. Ribnitzky, Simon und andere: Physik macht ohne Jungs mehr Spaß – oder? Online seit dem 13.9.2016 unter http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/zweibruecken-gymnasium-mit-geschlechtertrennung-in-physik-a-1112041.html.

[8] Vgl. Card, David und Payne, Abigail: High School Choices and the Gender Gap in STEM. Arbeitspapier des Natural Bureau of Economic Research, online unter http://www.nber.org/papers/w23769.pdf sowie Todd, Douglas: Men do well in science and tech, but lag elsewhere. In: Vancouver Sun vom 22.9.2017, online unter http://vancouversun.com/opinion/columnists/douglas-todd-men-do-well-in-science-and-tech-but-lag-elsewhere. Siehe zu ähnlichen Schlussfolgerungen auch Wang, Ming-Te und andere: Not Lack of Ability but More Choice: Individual and Gender Differences in Choice of Careers in Science, Technology, Engineering, and Mathematics. In: Psychological Science Vol. 24, Nr. 5/2013, online unter http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0956797612458937.