Lexikon der feministischen Irrtümer

Politisch korrekte Vorurteile und männerfeindliche Mythen auf dem Prüfstand der Wissenschaft

von Arne Hoffmann

„Unser Rechtssystem ist frauenfeindlich.“

DIE WAHRHEIT HINTER DEM BELIEBTEN IRRTUM:

„Justitia ist ein Mann“, heißt es in einem der Artikel Alice Schwarzers. „Denn: Frauen werden für gleiche Taten oft härter verurteilt als Männer. Die Mörderin bekommt fast immer lebenslänglich oder zehn, fünfzehn Jahre, der Mörder nicht selten einen Freispruch oder ein paar Jährchen zur Bewährung.“ [1]

Der Artikel stammt aus dem Jahr 1977, aber so wie viele feministische Statements hält er sich unhinterfragt über die Jahrzehnte hinweg. Der Deutschlandfunk etwa zitierte ihn noch in einem Beitrag vom Oktober 2017 – und nicht etwa, um ihm die Fakten über das tatsächliche Geschlechtergefälle vor Gericht gegenüberzustellen. [2]

„Theoretisch müssen Männer und Frauen bei gleichen Taten auch gleich bestraft werden“, äußerte sich hierzu der Berliner Richter am Amtsgericht a. D. Professor Ulrich Vultejus in einem Interview mit der Zeitschrift für Rechtspolitik.

„Ich bin in Strafverfahren gegen Frauen immer wieder in Schwierigkeiten geraten und habe mich deshalb jeweils gefragt, welche Strafe würde ich gegen einen Mann bei derselben Anklage verhängen und auf diese Strafe alsdann abzüglich eines ‚Frauenrabatts‘ erkannt. Ähnlich scheinen es auch meine Kollegen zu handhaben, wie die eben wiedergegebene rechtssoziologische Untersuchung ergibt. Ein Frauenrabatt ist gerechtfertigt, weil es Frauen im Leben schwerer haben und Strafen deshalb bei ihnen härter wirken.“ [3]

Was Vultejus schildert, ist kein regionales oder auch nur rein deutsches Problem. So zeigte sich in einer 2012 veröffentlichten Untersuchung von Sonja Starr, Juniorprofessorin an der Universität Michigan, dass Männer für dasselbe Verbrechen eine im Schnitt 63 Prozent höhere Haftstrafe erhalten als Frauen. Auch könnten verhaftete Frauen signifikant häufiger einer Anklageerhebung und Verurteilung vollkommen entgehen. (Die Huffington Post, die darüber berichtete, merkte an, dass männliche Angehörige ethnischer Minderheiten für dasselbe Verbrechen auch länger im Gefängnis sitzen als weiße Männer.) [4] Zwei Jahre zuvor hatte in Großbritannien ein Richterhandbuch für Aufsehen gesorgt, dem zufolge Männer schwerer bestraft werden sollen als Frauen, weil sie es im Leben leichter hätten. [5]

In der Schweiz wurde im Jahre 2012 eine Studie veröffentlicht, die eine Tendenz von Richtern nachweist, Männer auch ohne ausdrückliche Anordnung schwerer zu bestrafen als Frauen und sich in dieser Hinsicht mit einer Untersuchung des Schweizer Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2005 deckt: Bei einer groben Verletzung von Verkehrsregeln beispielsweise erhalten Männer häufiger bedingte Freiheitsstrafen, wo Frauen noch mit einer Geldbuße davonkommen. [6] In den USA führt der Rechtsanwalt Marc Angelucci auf der Website der männerfreundlichen Feministin Wendy McElroy mehrere weitere Studien an, die belegen, dass Männer für dasselbe Verbrechen empfindlich schwerer bestraft werden als Frauen. Während etwa eine schwarze Hautfarbe das Risiko, im Gefängnis zu landen, um 19 Prozent hebe, hebe die Angehörigkeit zum männlichen Geschlecht dieses Risiko um 165 Prozent. Auch die Dauer der Haft wird stärker dadurch verlängert, dass die betroffene Person männlich ist als durch jeden anderen Faktor der Diskriminierung einschließlich der ethnischen Herkunft. Und mehr noch: Wer eine Frau tötet, muss mit einer im Schnitt um 40,6 Prozent höheren Haftzeit rechnen als jemand, der einen Mann tötet. [7]

Auch Stuttgarter Sozialwissenschaftler, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg mit allen vor den Jugendgerichten der Stadt verhandelten Fällen beschäftigt hatten, gelangten zu einem eindeutigen Ergebnis: Frauen werden für ein und dasselbe Delikt deutlich gnädiger bestraft als Männer. Dieses Prinzip erstreckte sich über die gesamte Bandbreite des Strafgesetzbuchs vom Fahren ohne Führerschein bis zu Körperverletzung und Raub. Überdurchschnittlich häufig endeten die Hauptverhandlungen gegen Frauen mit außergewöhnlich geringen Strafen oder gar der völligen Einstellung des Verfahrens. Auch bei nachweislich schweren Delikten kamen Frauen mit leichteren Strafen davon als Männer. Das galt auch für mehrfach vorbestrafte Wiederholungstäterinnen. Als die Soziologen die Richter auf diese Ungleichbehandlung ansprachen, ernteten sie jedoch nur Verwunderung.

Denen erschien es nämlich ganz selbstverständlich, Frauen vor Gericht weniger hart anzufassen, unter anderem mit dem Argument, diese besäßen weniger kriminelle Energie. Was ihnen überhaupt nicht aufzufallen schien, war, dass dies eine sich selbst beweisende Fehlargumentation war: Wenn Frauen weniger hart bestraft wurden, traten sie natürlich auch nicht so stark in den Strafstatistiken in Erscheinung, woraus man dann wiederum eine geringere kriminelle Energie ableiten konnte. [8]

In der Literatur der „Genderstudien“ bleiben solche Diskriminierungen von Männern vielfach ausgeblendet. Aber es gibt die ersten Ausnahmen – etwa Linda Mealeys Buch „Sex Differences. Developmental and Evolutionary Strategies“, wo man Folgendes erfährt:

„Weil den Handlungen von Menschen Vorurteile unterliegen, führt es zur Diskriminierung im Justizsystem, dass Männer mit Verbrechen und Gewalt assoziiert werden. Versuche mit simulierten Geschworenenverfahren etwa zeigten, dass männliche Angeklagte eher für schuldig gehalten werden als weibliche und dass Angeklagte härter behandelt werden, wenn das Opfer weiblich ist. Eine Studie zeigte, dass sogar wenn sie das Opfer sind, Männer eher Mitschuld an einem Verbrechen gegeben wird als Frauen.“ [9]

Ganz allmählich räumen damit auch die ersten feministischen Wissenschaftler ein: Die These, dass Männer für dasselbe Verbrechen schwerer bestraft werden als Frauen, erweist sich in einer Studie nach der anderen als robust. Anhand der Vergleiche von Gerichtsurteilen über ein und dieselbe Tat zeige sich: Auch wenn man sämtliche anderen Faktoren (beispielsweise Vorstrafen des Angeklagten, seine Verpflichtungen als Elternteil etc.) herausrechnete, wurden Männer doppelt so häufig wie Frauen zu einer Haftstrafe verurteilt. [10]

Diese Besserbeurteilung von Frauen erstreckt sich allerdings nicht nur auf Richter, sondern etwa auch auf Lehrer und andere Erzieher, Polizisten, Behördenvertreter, Firmenrepräsentanten, Sozialarbeiter, Geistliche und nicht zuletzt die eigenen Väter, die bei ihren Töchtern eher mal ein Auge oder zwei zudrücken. [11] Eine sich über 22 Jahre erstreckende Studie konnte nachweisen, dass Jungen von ihren Eltern grundsätzlich härter bestraft wurden als Mädchen. [12] Eine von der Royal Crest Dutch Bacon Company in Auftrag gegebene Studie ergab zur Verblüffung der Chefs, dass Männer weitaus mehr von ihren Vorgesetzten schikaniert, in Gegenwart anderer beschimpft oder ungerecht behandelt wurden als Frauen [13]. Eine andere Statistik zeigt, dass Männer vierzig Prozent mehr Strafzettel wegen Geschwindigkeitsübertretung bekommen als Frauen, wenn ihr Tempo mit Radargeräten gemessen wird, aber 250 Prozent mehr, wenn das Urteil vom persönlichen Eindruck eines Polizeibeamten abhängt. [14] Auch bei anderen Delikten glauben Polizeibeamte nicht selten, in weiblichen Verbrechern ihre Mütter, Schwestern und Töchter zu sehen und haben Skrupel davor, sie zu verhaften. [15]

Am deutlichsten aber tritt die Geschlechterungleichheit bei Hinrichtungen zutage. Dass ethnische Minderheiten in den USA besonders stark von der Todesstrafe betroffen sind, wird seit Langem von Kritikern dieser Praxis thematisiert. Nur wenige Menschenrechtler hingegen machen den Sexismus zum Thema, der damit verbunden ist. Zu ihnen gehört David Buchanan, ein kanadisches Mitglied von Amnesty International: „Könnten wir uns einmal fragen, welche persönliche Eigenschaft die meisten besitzen, die in der Todeszelle landen?“ fragt Buchanan. „Hautfarbe? Ethnische Herkunft? IQ? Nichts davon. Die Antwort lautet: Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht.“ Tatsächlich waren unter allen Menschen, die in den USA hingerichtet wurden, weniger als drei Prozent weiblich. Werden Jugendliche und Menschen mit geistiger Behinderung hingerichtet, handelt es sich sogar ausschließlich um Männer. Diese Rate bleibt auch dann überproportional, wenn man sie in Bezug auf die begangenen Morde setzt: Weibliche Täter werden vom Justizsystem bei Weitem früher herausgefiltert, bevor sie in der Todeszelle landen. [16]

Frauen begehen zehn Prozent aller Morde in den USA, landen inzwischen aber zu weniger als einem Prozent tatsächlich in der Todeszelle. Selbst wenn die Todesstrafe über sie verhängt wird, wird das Urteil vergleichsweise häufig in lebenslange Haft umgewandelt oder zurückgenommen. Weltweit sind weniger als ein Prozent der zum Tode Verurteilten weiblichen Geschlechts; in einigen Ländern, beispielsweise Russland, werden sie davon grundsätzlich ausgenommen. [17] Den Genfer Konventionen gemäß dürfen Frauen, die im Rahmen eines militärischen Konflikts ein Verbrechen begehen, nicht mit dem Tode bestraft werden, wenn sie schwanger sind oder ein Kind haben, das jünger als fünf Jahre ist. Für Väter, die ein Kind im Alter von unter fünf Jahren haben, gilt diese Regelung wie selbstverständlich nicht. [18]

Mit welchen Mechanismen wird eine Täterin eher als ein männlicher Täter entschuldigt? Drei Beispiele:

· Wenn eine Frau gewalttätig wird, blickt man auf ihren Mann, um den Grund dafür zu finden. Da wir alle zu wissen glauben, dass Frauen von Natur aus gutherzig und friedliebend sind, muss er ihr doch irgendeinen Anlass gegeben haben. [19] „Frauen töten nicht, bevor sie nicht an den Rand der Verzweiflung getrieben wurden“, behauptet die feministische Psychologin Lenore Walker. Ihr Standardwerk „The Battered Woman“ lässt schon Beschimpfungen oder emotionale Vernachlässigung als Grund für einen Angriff gelten, was nichts anderes als das „Sie hat mich provoziert“ vieler männlicher Schläger widerspiegelt. [20] Umgekehrt wird es aber als höchst verwerflich betrachtet, wenn man nach dem Gewaltverbrechen eines Mannes auch nur die Frage nach einer möglichen Mitschuld seiner Frau stellt. Das typische Schlagwort hier lautet: blaming the victim – dem Opfer die Schuld zuschieben.

Tatsächlich sind dreißig Prozent der Frauen, die wegen Mordes an einem Mann in Haft sind, schon vorher durch Gewalttaten aufgefallen. Körperliche Notwehr fällt in den meisten Fällen ohnehin aus: 70 Prozent der Mörderinnen töteten ihre Opfer, wenn diese schliefen, betrunken, behindert oder gefesselt waren. [21] 60 Prozent wurde nachgewiesen, die Tat geplant zu haben, obwohl sie zuvor auf Notwehr aufgrund unmittelbarer Lebensgefahr plädiert hatten. [22]

· Frauen, die tatsächlich von ihrem Mann misshandelt wurden, behaupten, zu große Angst gehabt zu haben, ihn anzuzeigen, oder dass sie nirgends Hilfe bekommen konnten. Nur: Trotz der annähernd gleichen Täterschaft bei häuslicher Gewalt unter den Geschlechtern sind Notrufzentralen, Frauenzentren und Frauenhäuser allein auf das weibliche Geschlecht ausgerichtet. Wenn Hilflosigkeit überhaupt eine Entschuldigung für Mord sein kann, sollte dies Männern zehnmal eher zugestanden werden als Frauen. [23]

· Eine weitere typische Rechtfertigung sind Missbrauch und Misshandlung, die die Beschuldigte in ihrer Kindheit erfahren habe. Das US-amerikanische „Sourcebook of Criminal Justice Statistics“ enthält eine Tabelle, aus der man die Prozentzahl der Frauen ablesen kann, auf die dieser Sachverhalt zutrifft. Eine solche Tabelle existiert nicht für Männer, die als Jungen öfter das Opfer von Misshandlungen als Mädchen wurden. Wenn angeklagte Männer von Misshandlungen oder Missbrauch in ihrer Kindheit berichten, wird dies als „Rationalisierung“ des Verbrechens beiseite gewischt. [24]

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[1] Vgl. Schwarzer, Alice: Männerjustiz: Wie vor 25 Jahren. In: Emma von Januar/Februar 1977, online unter http://www.emma.de/artikel/maennerjustiz-wie-vor-25-jahren-265212.

[2] Vgl. Stange, Jennifer: Warum Frauen weniger kriminell werden. Online seit dem 23.10.2017 unter http://www.deutschlandfunkkultur.de/auffallend-unauffaellig-warum-frauen-weniger-kriminell.976.de.html?dram:article_id=398928.

[3] Vgl. Zeitschrift für Rechtspolitik 3/2008 vom 11. April 2008.

[4] Vgl. N.N.: Men Sentenced To Longer Prison Terms Than Women For Same Crimes, Study Says. In: Huffington Post vom 11.9.2012, online veröffentlicht unter http://www.huffingtonpost.com/2012/09/11/men-women-prison-sentence-length-gender-gap_n_1874742.html.

[5] Vgl. Dughty, Steve: Judges ordered to show more mercy on women criminals when deciding sentences. In: Daily Mail vom 11.11.2010, online veröffentlicht unter http://www.dailymail.co.uk/news/article-1311004/Judges-ordered-mercy-women-criminals-deciding-sentences.html.

[6] Vgl. Signorell, Gian: Frauen kommen besser weg. In: Beobachter Nr. 24/2012, online veröffentlicht unter http://www.beobachter.ch/justiz-behoerde/buerger-verwaltung/artikel/strafrecht_frauen-kommen-besser-weg.

[7] Vgl. Angelucci, Marc: Males Get Longer Sentences than Females for Same Crime. Online veröffentlicht am 23.4.2002 unter http://www.ifeminists.com/introduction/editorials/2002/0423a.html.

[8] Vgl. Mischke, Roland: Nur Mut, Männer! Zum neuen Selbstverständnis einer gefährdeten Spezies. Bergisch Gladbach 1990, S. 138.

[9] Vgl. Mealey, Linda: Linda Mealeys Sex Differences. Developmental and Evolutionary Strategies. Academic Press 2000, S. 372-373. Weiterführende Quellen siehe dort.

[10] Vgl. Embry, Randa und Lyons, Phillip: Sex-Based Sentencing: Sentencing Discrepancies between Male and Female Sex Offenders. In: Feminist Criminology April 2012, S. 146-162 (eine Zusammenfassung findet man online unter http://www.eurekalert.org/pub_releases/2012-05/sp-fso053012.php); Rodriguez, S. Fernando und andere: Gender Differences in Criminal Sentencing: Do Effects Vary Across Violent, Property, and Drug Offenses? In: Social Science Quarterly, Volume 87, Nr. 2/2006, S. 318 – 339, online veröffentlicht unter http://digitalcommons.utep.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1001&context=gang_lee sowie Spohn, Cassia: How Do Judges Decide? Sentencing Disparity and Discrimination. A focus on gender. Sage 2009.

[11] Mischke, Roland: Nur Mut, Männer! Zum neuen Selbstverständnis einer gefährdeten Spezies. Bergisch Gladbach 1990, S. 139.

[12] Vgl. Björkqvist, Kaj und Niemelä, Pirkko: Of Mice and Women: Aspects of Female Aggression. San Diego 1992, S. 92.

[13] Vgl. Thomas, David: Auch Männer wollen aufrecht gehen, oder Warum es heute so schwierig ist, ein Mann zu sein. Bergisch Gladbach 1993, S. 117.

[14] Vgl. Young, Cathy: Ceasefire! Why Women and Men Must Join Forces to Achieve True Equality. New York 1999, S. 37.

[15] Vgl. Pearson, Patricia; When She Was Bad: Violcnt Women and the Myth of Innocence. New York 1997, S. 37.

[16] Vgl. Jones, Adam: Gender Inclusive. Essays on violence, men and feminist international relations. Routledge 2009, S. 41.

[17] Vgl. Benatar, David: The Second Sexism. Discrimination Against Men and Boys. Wiley-Blackwell 2012, S. 60.

[18] Vgl. Carpenter, Charli: „Innocent Women and Children“. Gender, Norms and the Protection of Civilians. Ashgate 2006, S. 34. Weiterführende Quellen siehe dort.

[19] Vgl. Fillion, Kate: Lip Service: The Truth About Women’s Darker Side in Love, Sex and Friendship. New York 1996, S. 229.

[20] Vgl. Young, Cathy: Ceasefire! Why Women and Men Must Join Forces to Achieve True Equality. New York 1999, S. 98-102.

[21] Vgl. Cook, Philip: Abused Men: the Hidden Side of Domestic Violence. Westport 1997, S. 21.

[22] Vgl. Farrell, Warren: Mythos Männermacht. Frankfurt am Main 1995, S. 317.

[23] Vgl. Farrell, Warren: Mythos Männermacht. Frankfurt am Main 1995, S. 318-319.

[24] Vgl. Pearson, Patricia; When She Was Bad: Violcnt Women and the Myth of Innocence. New York 1997, S. 57.